Interview mit Staatsministerin Monika Grütters
«Bei den Corona-Auflagen insgesamt sehr hart mit der Kultur»
Fünf Fragen an die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters
Vielfältige staatliche Hilfen wurden beschlossen und konnten gerade großen Institutionen in Deutschland das Überleben ermöglichen. Wirtschaftliche Unternehmen wie Verlage, aber auch viele der besonders kreativen FreiberuflerInnen sind in Not geraten. Anlässlich des 250-jährigen Firmenjubiläums von Schott Music kam Prof. Monika Grütters MdB, deutsche Staatsministerin für Kultur und Medien und gleichzeitig Schirmherrin des Firmenjubiläums, zu Besuch nach Mainz. Anlässlich dessen stellte die Neue Zeitschrift für Musik fünf Fragen an die Staatsministerin.
Verleger Peter Hanser-Strecker und Staatsministerin Monika Grütters am 13. Oktober im Wagner-Saal des Verlagshauses
Künstlerinnen und Künstler aller Sparten haben in den letzten Monaten gezeigt, wie kreativ mit den Einschränkungen durch die Pandemie-Situation umgegangen werden kann. Das macht Mut! Hatten auch Sie positive Aha-Erlebnisse in letzter Zeit?
Und ob: Ich fand es bewundernswert, mit wie viel Fantasie und Esprit so viele Künstlerinnen und Künstler auf die Krise reagiert haben. Gerade im digitalen Bereich sind spannende Formate entstanden, wie zum Beispiel die Hauskonzerte von Igor Levit. Aber gerade für die Kultur gilt auch: Das Bildschirmerlebnis ersetzt nicht das Gemeinschaftserlebnis. Ich glaube, dass sehr viele Menschen ihren Hunger auf das Live-Erlebnis behalten, und hoffe, dass wir nach der Überwindung der Pandemie den gewohnten Ansturm auf die Kultureinrichtungen erleben werden.
Der befürchtete Kahlschlag in der Kulturszene wird dank rascher staatlicher Hilfen vielfach abgemildert. Ein häufiges Problem für die ausübenden Künstlerinnen und Künstler ist aber, dass keine Ausfallhonorare gezahlt werden, wenn es zu spontanen Absagen kommt. Sollten hierbei die staatlich geförderten Veranstalter nicht in die Pflicht genommen werden?
Viele freischaffende Künstlerinnen und Künstler hatten vor Ausbruch der Corona-Pandemie ein regelmäßiges Einkommen, das durch die zahllosen abgesagten Veranstaltungen weggebrochen ist. Das ist eine absolut unverschuldete Notlage, auf die wir – dort, wo es uns als Bund möglich ist – schnell reagiert haben. Noch im April haben wir damit begonnen, allen vom Bund geförderten Kultureinrichtungen die Zahlung von Ausfallhonoraren zu ermöglichen. Das ist das Mindeste, was wir als Staat den Künstlerinnen und Künstlern schuldig sind. Insofern haben wir natürlich auch darauf gesetzt, dass Länder und Kommunen hier nachziehen. Umso bedauerlicher ist es, dass einige von ihnen diesem Beispiel bis heute, trotz all meiner Appelle, nicht gefolgt sind, obwohl die Kulturförderung in Deutschland in erster Linie Ländersache ist.
Schott Music, der größte selbstständige Musikverlag in Deutschland, ist im Jubiläumsjahr in eine existenzielle Krise geraten – und mit ihm weltweit viele seiner Komponistinnen und Komponisten. Während die staatlich geförderten Institutionen gut abgesichert durch die Krise kommen, befinden sich viele Musikverlage im freien Fall – mit einem immensen Schaden für das Musikleben und vor allem für die Komponistinnen und Komponisten, die neue Werke schaffen und ihre Verlage brauchen. Wie können Sie dazu beitragen, diesen irreparablen Schaden zu verhindern?
Musikverlage sind das Rückgrat unseres Musiklebens, denn sie vertreten die Rechte Tausender Komponistinnen und Komponisten. Die Verlags-Tantiemen hängen unmittelbar von der Anzahl der verkauften Tickets ab. Wenn die Publikumsauslastung eines Konzertsaals aufgrund der Schließungen oder der Abstandsregeln um 75 Prozent sinkt, bedeutet das für die Musikverlage eben auch 75 Prozent weniger Einnahmen. Natürlich hat die Bundesregierung auch diese Probleme im Blick. Deshalb haben wir im Rahmen des Zukunftspakets NEUSTART KULTUR ein Hilfsprogramm speziell für Musikverlage auf den Weg gebracht. Geplant sind hier unter anderem Ausgleichszahlungen für entgangene Einnahmen. Einzelheiten dazu werden wir in Kürze bekanntgeben.
Unabhängig davon sind jetzt aber für die Musikverlage insbesondere die Abstandsregeln der Bühnen und Konzerthäuser entscheidend, und auch hier gilt: Grundsätzlich tragen die Länder die Verantwortung für die konkreten Bestimmungen, welche öffentlichen Räume unter welchen Bedingungen bespielt werden können. Da habe ich den Eindruck, dass man bei den Corona-Auflagen insgesamt sehr hart mit der Kultur umgeht. Mir ist wichtig – und dafür setze ich mich weiterhin ein –, dass wir sehr differenziert darüber nachdenken, wie Infektionsschutz und Kultur miteinander abgestimmt funktionieren können. Dazu sollte jede Veranstaltung, jeder Raum speziell auf seine Möglichkeiten geprüft werden. Wir müssen im Sinne unseres kulturellen Lebens wie in anderen Branchen auch pragmatische Lösungen entwickeln, denn nur mit Geld lassen sich diese Probleme nicht lösen.
Peter Hanser-Strecker, Monika Grütters und Christiane Albiez (Schott Music)
Ein Wegbegleiter im Kulturleben ist die einzigartige Medienvielfalt in Deutschland. Das Überleben aller Kulturmedien steht auf dem Spiel, Journalistinnen und Journalisten können nur noch prekär bezahlt werden. Hat sich der bestehende Kulturjournalismus überholt – oder ist es Zeit, diesen auch als Kulturgut zu fördern?
Das nehme ich ganz anders wahr. Gerade der Kulturjournalismus hat im öffentlichen Diskurs der vergangenen Monate eine wichtige Rolle gespielt. Die Feuilletons waren voll, auch wenn Ausstellungen oder Konzerte ausblieben. Stattdessen werden dort wichtige gesellschaftspolitische Debatten geführt und Grundsatzfragen zu unserem Zusammenleben – nicht zuletzt unter den Bedingungen der Pandemie – diskutiert.
Der Kulturjournalismus wird bereits von staatlicher Seite vielfältig unterstützt, denken Sie nur an die öffentlich-rechtlichen Sender. Die Breite im Feuilleton und in der Kultur-Berichterstattung ist weltweit in der Tat einzigartig – obwohl ich mir wünsche, dass vor allem die Fernsehsender ihrem Kulturauftrag noch stärker gerecht werden. Bei den privaten Medien hat die Corona-Pandemie zu einer paradoxen Situation geführt: Zum einen werden sie so stark nachgefragt wie nie zuvor, zum anderen sind ihre Werbeeinnahmen massiv zurückgegangen. Deshalb haben viele Verlage die Corona-Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung in Anspruch genommen. Ich kann hier nur an die Verlegerinnen und Verleger appellieren: Gerade jetzt in Zeiten der Krise Stellen in Redaktionen abzubauen, wäre fatal. Denn angesichts immer absurder werdender Verschwörungstheorien gibt es einmal mehr eine große Wertschätzung des Qualitätsjournalismus. Viele Menschen wissen, wie wichtig tiefgründige Recherche, seriöse Einordnung und differenzierte Bewertung der Geschehnisse in der Berichterstattung sind – das leistet der Kulturjournalismus in vorbildlicher Weise.
Irgendwann in vielen Monaten wird der Spuk der Pandemie vorbei sein. Was wird sich dann in unserer Gesellschaft und im Kulturleben verändert haben?
Ich stimme keinen Abgesang auf die Kultur an – im Gegenteil: Unsere kulturelle Vielfalt, die einzigartig ist auf der Welt, haben die Menschen in Deutschland über zwei Weltkriege gerettet. Deshalb werden wir hoffentlich auch diese Krise überstehen. Aber eines ist klar: Die Bühnen, Museen und andere öffentliche Kulturhäuser dürfen am Jahresende nicht dem Kassensturz zum Opfer fallen.
Der Bund legt im nächsten Jahr erneut einen erhöhten Kulturhaushalt vor. Es stehen aber auch die Länder und Kommunen in der Verantwortung. Sie sind es, die gemeinsam rund 85 Prozent der staatlich geförderten Kultur in Deutschland tragen. Die weltweit einzigartige Vielfalt unseres Kulturlebens ist ja gerade ein Resultat genau dieses Föderalismus. Deshalb sind wir alle als Akteure des Kulturlebens jetzt dazu aufgerufen, diesen Reichtum zu verteidigen: nicht als Delikatesse für Feinschmecker, sondern als Brot für alle! Und ich bin zuversichtlich, dass uns das auch gelingen wird. Wenn eine Branche in den letzten Monaten Lebensmut und Widerstandskraft erwiesen hat, dann ist das die Kultur, dann sind das die Kreativen!
(Fotos: © Sebastian Burkart)
Stand: 19.10.2020