Xenakis, Iannis

GRM Works 1957–1962

Concret PH / Orient-Occident / Diamorphoses / Bohor

Verlag/Label: Editions Mego REGRM 007
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Obwohl Iannis Xenakis nie wirklich eine Musique concrète im Sinne von Pierre Schaeffer konstruiert hat, war die 1958 von Schaeffer gegründete Groupe de recherches musicales (GRM) ein Ort, an dem der 1947 aus Griechenland geflohene Komponist seine experimentellen Ideen von Klang und Klangstrukturen verwirklichen konnte. Der studierte Ingenieur Xenakis arbeitete in Paris bis 1960 als Assistent im Büro des Architekten Le Corbusier. Für die Weltausstellung 1958 in Brüssel entwarf Xenakis den Philips-Pavillon nach grafischen Ideen, die er in seinem Orchesterwerk Metastaseis (1954) musikalisch entwickelt hatte und mit denen er seine Vorstellung von Raum und Klang im Raum realisierte.
Vier der in Schaeffers Institut für die Erforschung elektroakustischer Mu­sik zwischen 1957 und 1962 realisierten Arbeiten von Iannis Xenakis enthält eine Vinylschallplatte, die von Rashad Becker im Januar 2013 in Berlin bei «Dubplates & Mastering» geschnitten und in der «Recollection GRM»-Serie veröffentlicht wurde. 1997 veröffentlichte das Label «Electronic Music Foundation» in digitaler Form neben anderen Stücken die nun neu herausgegebenen Werke Concret PH, Orient-Occident, Diamorphoses und Bohor.
In dem von Le Corbusier erbauten Philips-Pavillon – dem sogenannten «Elektronischen Gedicht» – erklang neben Edgard Varèses Poèm Electronique das nur 2:41 Minuten dauernde Concret PH von Xenakis. Das für vierhundert Lautsprecher konzipierte Stück benutzt mathematische Prozesse und basiert auf Xenakis’ Ansatz, das in der Mathematik als Sattelfläche definierte «hyperbolische Paraboloid» von seinen architektonischen Ideen auf die Musik zu übertragen. Als einzige Soundquelle nutzte Xenakis Geräusche wie von brennender Holzkohle und verfremdete sie für seine Tonbandkomposition mit Transponierungen, Vermischungen, wechselnden Bandgeschwindigkeiten und Overdubs.
Orient-Occident komponierte Xenakis für einen Film von Enrico Fulchignoni, der eine Orient-Okzident-Ausstellung im Pariser Cernuschi-Museum von 1958 dokumentiert und in dem Xenakis den Klang von Glocken und Metallstangen verwendete sowie einen Ausschnitt aus seinem Orchesterwerk Pithoprakta in verändertem Tempo integrierte. Kontinuität und Unstimmigkeit innerhalb einer konkreten Entwicklung beschreibt Xenakis mit dem Stück Diamorphoses, in dem er die Gegensätze zwischen diesen Komponenten darstellt. Bedrohlich wirken grollendes und aufgepeitschtes, gewitter­artiges und elektrostatisches Aufeinandertreffen von sich widersprechenden Klangräumen, die Xenakis scheinbar willkürlich übereinanderschichtete.
Für Bohor (der Jüngere), eine Figur aus König Arturs Tafelrunde, aus dem Jahr 1962 – «der rasende Klangorkan Bohor», wie Rudolf Frisius formulier­te – benutzten die GRM-Koordinatoren Christian Zanési und François Bonnet eine 1968 von Xenakis selbst verbesserte Fassung, die bisher nicht veröffentlicht worden war.

Klaus Hübner