Wolff, Christian

11 Microexercises

Verlag/Label: Edition Wandelweiser Records EWR 1306
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 1

Er habe, so der Komponist Christian Wolff, mit der Arbeit an seinen Micro­exercises begonnen, als er nach einem Stück gefragt wurde, das aus nicht mehr als hundert Noten bestehen sollte. Aus diesem Impuls heraus schuf er 2006 eine Gruppe von 22 Miniaturen, der er im folgenden Jahr unter dem Titel Grete 13 weitere Stücke folgen ließ.
Grundlage der in beiden Sammlungen jeweils niedergeschriebenen musikalischen Ideen ist ein reduktionistisches Konzept, das um den bewussten Verzicht auf überflüssige Festlegungen kreist; die endgültige Entscheidung über die Klanggestalt der Stücke wird vielmehr an die Ausführenden selbst delegiert. So lässt Wolff die Instrumentation und die Anzahl der Musiker meist ebenso offen wie die Formung der Dynamik, die Möglichkeit einer Transposition oder die Auswahl und Anordnung der Stücke, wodurch zugleich den interpretatorischen Gestaltungsspielräumen eine Fülle von Möglichkeiten zuwächst.
Die beiden Gitarristen Beat Keller und Reza Khota haben, ganz im Sinne des Komponisten, eine Auswahl aus den Microexercises getroffen, die sie zu einer losen Folge unterschiedlich langer Duos anordnen und mit den klanglichen Möglichkeiten zweier E-Gitarren abtasten. Insgesamt elf Stücke aus der ersten Serie stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Produktion; zwei davon werden zusätzlich in alternativen Takes präsentiert, was die Variabilität des Endergebnisses unterstreicht. He­rausgekommen ist dabei eine Platte, die – bildlich gesprochen – wie die gemächliche Wanderung durch eine ruhige, ständig im Wandel befindliche Klanglandschaft anmutet: So gerät Nr. 13 zu einem kaum mehr als eine Minute währenden Dialog, in dem engräumige Figuren einander begegnen, wäh­rend in Nr. 8d den zarten Klängen viel Zeit zugestanden wird, um sich über eine Dauer von fast zwölf Minuten hinweg in Gestalt eines weiträumigen harmonischen Verlaufs zu entwickeln.
In allen Fällen legen die Interpreten jedoch viel Wert auf die klang­liche Formung der ausgewählten Mi­niaturen: Der raffinierte und überlegte Einsatz von Effekten und Spieltechniken – etwa die Verwendung von Feedback, Distortion und Tremolo, die Erzeugung pulsierender Bewegungen und lang gezogener Klänge, der ins Verlöschen übergehende Nachhall angeschlagener Einzeltöne, das gelegentliche Aufein­andertreffen sehr unterschiedlicher Klangerzeugungsmöglichkeiten oder auch der eine oder andere mit Bedacht eingestreute Powerchord – sorgt für einen bei aller dynamischen Zurückhaltung abwechslungsreichen Verlauf. Dieser gewinnt zudem durch die klare räumliche Disposition der Aufnahme zusätzliche Konturen: Da nämlich jedem der beiden Stereokanäle der Klang jeweils eines Instruments zugeordnet ist, lässt sich das Gegenüber von Keller und Khota im heimischen Wohnzimmer als eine Art Klangskulptur erfahren. Allerdings ist die CD mit einer Gesamtspielzeit von nur 38 Minuten doch etwas kurz geraten.

Stefan Drees