Bernd Alois Zimmermann
Recomposed
Original- und Rekompositionen
Sarah Wegener, Sopran; Marcus Weiss, Saxofon; Ueli Wiget, Klavier; WDR Sinfonieorchester Köln, Heinz Holliger
3 CDs, Wergo WER 73872
BEWERTUNG: 5 von 5 Punkten!
Wer hätte gedacht, dass Heinz Holliger einmal Rachmaninow dirigieren würde?! Er selbst wohl nicht, denn dafür ist die ästhetische Distanz zu groß. Eine Annäherung wurde erst über Bernd Alois Zimmermann (1918–70), einen Favoriten Holligers, möglich. Zimmermann bearbeitete 1950 die Romanze und die Humoreske aus den Morceaux de Salon op. 10 für Orchester mit solistischem Saxofon bzw. Klavier und zauberte dabei eine neue Klangwelt hervor.
Zu finden sind diese Stücke neben weiteren Ersteinspielungen auf der CD-Box Zimmermann recomposed. Sie wirft ein neues Licht auf das Schaffen dieses Komponisten. Aus den rund hundert Bearbeitungen wurde eine farbige Auswahl getroffen. Das reicht von Barock-Adaptionen bis hin zu Jazzigem, von französischen Chansons des 18. Jahrhunderts bis hin zu den Exotismen eines Cyril Scott. Manchmal muss man erst im Booklet nachlesen, weil man die Autoren kaum mehr kennt. Edmund Nick etwa, der mit einem Blues vertreten ist, war Kapellmeister, Operetten- und Filmkomponist sowie Hauptabteilungsleiter Musik beim NWDR und damit Zimmermanns Arbeitgeber. Kein Zufall, denn die meisten dieser Bearbeitungen entstanden für den diesbezüglich hungrigen Rundfunk, vieles in den 50er Jahren. Und so ist es nur angemessen, dass sich das WDR Sinfonieorchester unter Holligers Leitung dieser Stücke annimmt. Sie arbeiten die Feinheiten ungemein sorgfältig heraus. U-Musik: Bernd Alois Zimmermann beherrschte und mochte das sogenannt Leichte. Das Arrangieren war für ihn keine minderwertige Fronarbeit (auch wenn ihn das seine Avantgardekollegen spüren ließen), denn sonst hätte er es kaum mit solcher Liebe zum Detail gestaltet, einfallsreich und durchwegs transparent. Er folgt zwar dem Original, denkt es aber überraschend weiter und spinnt es aus mit zarten Instrumentalfarben. Im Idealfall eröffnet sich dabei eine Bilderwelt, die sich im Original allenfalls erahnen lässt – so etwa bei Mussorgskis Reiseeindrücken aus der Krim.
Zimmermann eignete sich so ein stilistisch breites Handwerk an. Abgesehen von der Fingerfertigkeit des Arrangierens waren diese Musiken gut einsetzbar, etwa in den Hörspielen, aber sie sind auch Aneignungen im Spiegel bedeutenderer eigener Werke. Der Bearbeitungsprozess wirft ebenso ein Licht auf die Collagetechnik Zimmermanns wie auf sein Konzept einer «Kugelgestalt der Zeit». Von daher ist es aufschlussreich, wenn zwischen Bearbeitungen gewichtigere Stücke erscheinen, in denen Zimmermann diese Erfahrungen weitertrieb, so etwa die brasilianischen Capricci Alagoana im Umfeld von Villa-Lobos, Milhaud, Casella und bolivianischen Tänzen oder etwa das letzte Werk Stille und Umkehr zusammen mit den Jazzbearbeitungen. Der Blues darin ist, wie Holliger im Booklet-Gespräch mit Michael Kunkel sagt, die «Bedingung dafür, dass dieser Orchesterkörper überhaupt leben kann!». So schießt mit dieser wunderbaren CD-Box vieles zusammen.
Thomas Meyer