
Wolfgang Gratzer / Christoph Lepschy (Hg.)
Proben-Prozesse
Über das Entstehen von Musik und Theater
Rombach, Freiburg i. Br. /Berlin/Wien 2019, 240 Seiten, 38 Euro
Nicht nur künstlerische Werke und deren Aufführung sind – im Kontext kultureller und gesellschaftlicher Metamorphosen – permanentem Wandel unterworfen, sondern auch die Prozesse, die ihre öffentliche Präsentation erst ermöglichen: die «Proben-Prozesse». In der gleichnamigen Publikation stellen die Herausgeber diesbezüglich richtige und wichtige Fragen: «In welcher Weise veränderten sich Proben- und Aufführungskonzepte in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen bisher? Welche Entwicklungen nahmen bestimmte Proben-Praktiken und ‑Konventionen in künstlerischer und sozialer Hinsicht? […] Inwieweit kann die veränderte Wahrnehmung der Proben-Prozesse wiederum die weit über den Proberaum hinausreichende gesellschaftliche Suchbewegung nach neuen und alternativen Formen und Modellen sozialer Kooperation reflektieren und inspirieren?» Die Gespräche und Aufsätze, die bei einem 2015 am Salzburger Mozarteum veranstalteten «Workshop» zum Thema basieren, behandeln diese Fragen auch und gerade anhand konkreter Projekte.
Dass zum «Proben» auch das demonstrative «Nicht-Proben» gehört, zeigt sich markant in Peter Ablingers Streichquartett mit dem provokanten Titel Wachstum und Massenmord. In dem 2010 in Donaueschingen uraufgeführten Stück war die erste Probe des stadler quartetts zugleich die Performance vor Publikum, wobei es Ablinger weniger um «intime» Einblicke in die Quartettarbeit ging als um Entauratisierung des Kunstwerks, womit er konsequent an das maßgeblich von John Cage initiierte Brechen von Konventionen und Entmystifizieren des Schöpferischen anknüpfte.
Wolf-Dieter Ernst referiert über «historische und theateranthropologische Konturen» der Proben und hebt hervor, dass eben nicht nur das Theater selbst das Potenzial habe, das alltägliche Zeitbewusstsein außer Kraft zu setzen, sondern bereits die Probe, die für die Beteiligten einen alternativen (und ritualisierten) Lebensrhythmus hervorzurufen vermag. Das ist spannend vor dem Hintergrund, dass intensive «Proben-Prozesse» erst im 20. Jahrhundert aufkamen, was die Vermutung nahe legt, dass die wachsende Beschleunigung und Verdichtung der Lebensumstände die Sehnsucht nach alternativem Zeitempfinden in «Proben-Prozessen» beflügelte.
Der österreichische Komponist und Jazz-Posaunist Radu Malfatti propagiert hingegen, dass Proben im Prinzip entbehrlich seien, wenn die Haltung stimme. So nachvollziehbar dieses Postulat aus der Sicht des improvisierenden Musikers erscheint, so wird es sich gegenüber komplexen Partituren und Vorgaben zwangsläufig als untauglich erweisen. Weitere sehr aufschlussreiche Einblicke in die Entstehung von Musik und Theater gewähren in dieser rundum gelungenen Publikation etwa Isabel Mundry, Heiner Goebbels und Hossam Mahmoud, der seine Musik statt in Takten in «Atemzügen» organisiert, sowie Stefan Drees, der die fruchtbare Kooperation des Komponisten Alexander Schubert mit der Geigerin Barbara Lüneburg ausleuchtet.
Dass zum «Proben» auch das demonstrative «Nicht-Proben» gehört, zeigt sich markant in Peter Ablingers Streichquartett mit dem provokanten Titel Wachstum und Massenmord. In dem 2010 in Donaueschingen uraufgeführten Stück war die erste Probe des stadler quartetts zugleich die Performance vor Publikum, wobei es Ablinger weniger um «intime» Einblicke in die Quartettarbeit ging als um Entauratisierung des Kunstwerks, womit er konsequent an das maßgeblich von John Cage initiierte Brechen von Konventionen und Entmystifizieren des Schöpferischen anknüpfte.
Wolf-Dieter Ernst referiert über «historische und theateranthropologische Konturen» der Proben und hebt hervor, dass eben nicht nur das Theater selbst das Potenzial habe, das alltägliche Zeitbewusstsein außer Kraft zu setzen, sondern bereits die Probe, die für die Beteiligten einen alternativen (und ritualisierten) Lebensrhythmus hervorzurufen vermag. Das ist spannend vor dem Hintergrund, dass intensive «Proben-Prozesse» erst im 20. Jahrhundert aufkamen, was die Vermutung nahe legt, dass die wachsende Beschleunigung und Verdichtung der Lebensumstände die Sehnsucht nach alternativem Zeitempfinden in «Proben-Prozessen» beflügelte.
Der österreichische Komponist und Jazz-Posaunist Radu Malfatti propagiert hingegen, dass Proben im Prinzip entbehrlich seien, wenn die Haltung stimme. So nachvollziehbar dieses Postulat aus der Sicht des improvisierenden Musikers erscheint, so wird es sich gegenüber komplexen Partituren und Vorgaben zwangsläufig als untauglich erweisen. Weitere sehr aufschlussreiche Einblicke in die Entstehung von Musik und Theater gewähren in dieser rundum gelungenen Publikation etwa Isabel Mundry, Heiner Goebbels und Hossam Mahmoud, der seine Musik statt in Takten in «Atemzügen» organisiert, sowie Stefan Drees, der die fruchtbare Kooperation des Komponisten Alexander Schubert mit der Geigerin Barbara Lüneburg ausleuchtet.
Egbert Hiller
erschienen in Neue Zeitschrift für Musik 1/2020, Seite 76