Schnittke, Alfred

3rd Symphony

Verlag/Label: Pentatone PRC 5186 485
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 73

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

Eine dumpfe Klangspur wird hörbar. Zunächst bleibt sie gestaltlos, doch dann treten, verbunden mit kanonischer Differenzierung des Streichersatzes, aus diesem Urgrund immer mehr den Klang bereichernde Einzelheiten hervor, bis sich in den hohen Registern eine zweite Schicht darüber legt und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schon dieser Beginn ist phänomenal: Bis nach rund dreieinhalb Minuten das erste Orchestertutti eintritt, ereignet sich so viel, dass man erst nach mehrmaligem Hören merkt, was alles darin steckt. 
Auch wenn es andere qualitativ hochwertige Aufnahmen von Alfred Schnittkes dritter Symphonie gibt: so detailreich, akribisch und vor allem mit maximaler Ausnutzung der dynamischen Bandbreite musiziert war das Werk bislang wohl nicht auf Tonträger zu hören. Die Stimmengeflechte bleiben selbst dort noch transparent, wo Schnittke alle denkbaren Einfälle übereinanderlagert, wo die Einzelstimmen von einem Strudel aus Anspielungen auf musikgeschichtliche Positionen aufgesaugt oder im Aufeinanderprall stilistischer Schichten zerrieben werden. 
Das 1981 als Kompositionsauftrag der Stadt Leipzig entstandene Werk stützt sich auf die Auseinandersetzung mit einer «Geschichte der deutschen Musik» (Schnittke), die sich nicht nur in der Konstruktion von Reihenordnungen durch Bezug auf Tonbuchstaben aus Komponistennamen, sondern auch in vielerlei Stilzitaten und musikalischen Anspielungen äußert. So beginnt der zweite Satz mit einer fast naiven melodischen Heiterkeit von Streichern und Holzbläsern, die jedoch bald durch Brüche und eingeblendete Walzerklänge Verfremdungen erfährt, bis sie in fernen Mozart’­schen Klavierklängen einrastet. Oder da ist der dritte Satz mit seiner Popkarikatur, in die hinein das Cello ein Zitat aus Beethovens Egmont setzt, während kurz darauf mit glockengesättigten Schlagzeugklängen glitzern­de Irritationen erzeugt werden. Und da ist schließlich die zarte, räumliche Tiefe suggerierende Klangfläche, die sich, dominiert von Streichern und Holzbläsern, dem Duktus Mahler’­scher Finalsätze nähert und dem Eindruck des «Als ob», dem Spiel mit den Konnotationen, eine weitere Wende gibt. 
Vladimir Jurowskis Umgang mit all diesen und vielen weiteren Situationen unterstreicht, wie ernst er seine Aufgabe nimmt, die verstreuten Eindrücke zu einer übergeordneten Gesamtheit zu fügen: Unter seinen Händen entsteht eine phänomenal dichte Interpretation des komplexen Werks, die durch ihre enorme Differenziertheit Schnittkes vielschichtige «Kunst aus Bruchteilen des Hergebrachten» (Steffen Georgi) zu einem ständig veränderten Klangrelief formt – auf ideale Weise unterstützt von einer auf Feinheiten fixierten Aufnahmetechnik. Dass man, wie das Booklet verrät, die gleichfalls besetzte Orgel erst im Nachhinein zu der Aufnahme hinzugefügt hat, lässt sich ob des überzeugenden Gesamteindrucks kaum glauben und unterstreicht, wie sorgfältig die Einspielung während der Postproduktion abgemischt wurde.
 
Stefan Drees