Dinahbird

A Box of 78s

Verlag/Label: Sound Art Series by Gruenrekorder, Gruen 148, Vinyl
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5


Es gibt Gründe, auf Vinyl zu veröffentlichen: Da wäre der High-End-Fetischismus einer wachsenden Analog-Gemeinde; da wäre der schöne Karton ohne Plastik; da wäre das Konzept, das eben nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form bestimmt. Vor allem Letzteres trifft auf die LP A Box of 78s zu, die die Radioautorin DinahBird in der «Sound Art Series» bei Gruenrekorder veröffentlichte.
Zum Hintergrund: In einer über achtzig Jahre alten Kiste ihrer Großmutter fand DinahBird etwa fünfzig Schallplatten mit Aufnahmen klassischer Werke inklusive vieler bekannter Opernarien. Im September 2012 fängt sie an, die Spuren der Platten zurückzuverfolgen. Mit den Scheiben im Gepäck fliegt sie zu den Golf Islands, wo ihre Großmutter geboren wurde; diese Heimreise der Platten wiederum ist dokumentiert: Field Recordings, selbst gesprochene Erinnerungen und O-Töne vermischt DinahBird mit den alten Klängen der 78er-Scheiben.
Die Story klingt nach nebulöser, ziemlich subjektiv gesättigter Selbsterfahrung. DinahBird aber spricht objektiver von «composed sound». Und nicht nur dies bringt A Box of 78s in die Nähe von Luc Ferraris wunderbaren Soundscapes der 1960er Jahre, etwa Presque rien (No. 1). Der Wechsel von gesprochenen Passagen, von Musikpassagen der alten Platten oder den Naturaufnahmen ist klug arrangiert, nie zu dicht, immer viel assoziativen Freiraum lassend. Das Spiel mit Vorder- und Hintergrund ist toll arrangiert, liebevoll und technisch ausgereift, dabei nie ins Kitschige, bloß Gefällige abdriftend.
Zum Konzept der Box gehört ein ähnliches Nachleben, das den Platten der Großmutter widerfuhr. Mit einem ausgefüllten «Listening Log» (Hör-Eintrag) kann man die Platte zurücksenden, worauf sie ein letztes Mal gespielt wird. Ein Kreis schließt sich und auch dies mag Anlass gewesen sein für eine LP-Pressung. Auf alle Fälle ist A Box of 78s nicht nur wegen des schön dicken Vinyls eine außergewöhnliche Pub­likation, die alle Hochachtung und Höchstnoten verdient. Selbst der klangverwöhnte High-End-Fetischist wird auf seine Kosten kommen. So direkt und live klingt eine CD wahrlich nur sehr selten. Das gelegentliche leise Staubknistern trägt zur ganz besonderen Note des durchaus nostalgischen Konzepts bei.
Torsten Möller