à hiroshima
Werke von Mayako Kubo, Helmut Zapf, Gabriel Iranyi, Daisuke Terauchi
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4
Ungewöhnliche Besetzungen als Ausdruck künstlerischer Notwendigkeit gibt es viele in der neuen Musik. Im Falle der vorliegenden CD suchte aber dreierlei Saitenspiel aus Geige, Gitarre und Klavier das japanische Trio Ku nach Komponisten. Ku ist der zen-buddhistische Begriff von Leere, und so natürlich, wie sich Wasser in einer Mulde sammelt, so frei und sicher entfalteten sich die Klang- und Formfantasien der vier auf dieser CD versammelten Komponisten aus Berlin und Hiroshima. Und bei jedem von ihnen auf eigene Weise.
Die Kompositionen sind 2010 in Auftrag gegeben worden, aus Anlass des 65. Jahrestages des Atombombenabwurfs über Hiroshima. Mayako Kubo weiß, dass dem Grauen von Hiroshima mit menschlichen Mitteln nicht beizukommen ist, aber sie fragt Wohin?, so der Titel, es gehe mit einer Welt, in der Derartiges möglich ist. Sie fragt es mit Anfängen, mutigen wie törichten, ganz gemäß dem Leben, und mit Abbrüchen und melancholischen Einbrüchen, mit einer großen Vielfalt von Mitteln die das Trio mit Leichtigkeit darzustellen weiß.
Helmut Zapf tastet sich in Hou-ou der japanische Phoenix von den möglichen Duo-Kombinationen des Ensembles zum vollen Trio vor und setzt so das Bild des in neuer Gestalt seiner Asche entsteigenden Märchenvogels als imaginäre Filmmusik um. Zapf gelingt es, mit auf allen Instrumenten angewandten fortschrittlichen Spieltechniken ein kontinuierliches Klangspektrum von gestrichenen, geschlagenen und gezupften Saiten zu schaffen und leistet so seinen Beitrag, einer neuen Gattung Erfahrungstiefe zu verschaffen. Gabriel Iranyi kommt mit seinen Blicken auf Hiroshima dem Unfassbaren in der Sprache düsterer Expression am nächsten und verleiht mit tiefsinnigen Kantilenen der Kunde von Trauer und Aufruhr würdigsten Ausdruck. Die konzentrierte und nur von wenigen Klangballungen erschütterte Anmut der zauberhaften Dissonanzen Komplikationen der Einfachheit lässt Tugenden der Musik Anton Weberns oder Morton Feldmans in neuer Gestalt aufleben.
Die Recital-CD wird durch die dramaturgisch klug geordnete Vielfalt zum eigenen Werk. Den Abschluss macht die angesichts des Ernstes der anderen Stücke gelegentlich frivol scheinende Collage Three Sisters von Daisuke Terauchi aus Musik von Chopin, Ysaÿe und Mauro Giuliani (einem Gitarrenkomponisten des frühen 19. Jahrhunderts). Erst der plötzliche Abbruch am Schluss bringt das Bild der mitten im Tanz aus dem Leben gerissenen Stadt Hiroshima in Erinnerung.
Mag die Gitarre in der klassischen Musik ein eher seltenes Instrument sein
in diesem Trio emanzipiert sie sich als gleich- und vollwertiger Partner, der in grauer Vorzeit aus denselben Wurzeln spross wie Geige und Klavier. Ein Ensemble aus drei Instrumenten, die sich nicht maßgeblich durch das Register, sondern durch Spielweise und Klang unterscheiden, sind das eigentlich Neue, das aber beim Kennenlernen dieser CD vollständiges Vertrauen und den Wunsch weckt, die Musikgeschichte hätte ein umfangreiches Repertoire dafür überliefert.
Matthias R. Entreß