Max E. Keller

accent – figure – layer

Verlag/Label: Dreamscape DEA 4765
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Von den insgesamt acht Stücken auf der CD sind nur zwei auskomponiert, unione e tremolo für Violine und Viola (2002) und das Violinsolo NONONONONONO. Insgesamt scheint Max E. Keller auf ein stückübergreifendes Konzept zu zielen: «Das musikalische Material basiert auf den archetypischen Elementen von Akzent, Figur und Schicht […]. Sie werden in verschiedenste Weisen variiert und auch ineinander übergeführt.» Tatsächlich ergibt sich von accent (Nr. 1) bis from three to one (Nr. 8), beide für Sextett, eine Art sich entwickelnder, diskontinuierlicher Bogen. Das abschließende Stück versammelt wesentliche Materialien.
Unione e tremolo (Nr. 2) wurde «in Ulan Bator und in der Wüste Gobi in der Mongolei uraufgeführt». Um das Stück «kraftvoll-wüstentauglich» zu machen, verwandte Keller «Klangverdopplungen im Unisono und in Oktaven (Doppeloktave, drei Oktaven) in allen realisierbaren Konstellationen […], zumal damit ein Tabu der neuen Musik zum Material wurde». Der «Tabubruch» dauert etwas lang, zumal verhältnismäßig rasch klar wird, dass ein Ton ein Ton ist.
Interessant ist bei Nr. 7, samt einigen durch forcierten Bogendruck fast stöhnenden Tönen in tiefer Lage, der Einbruch der gesprochenen Sprache ins Instrumental-Klangliche: «Eine Bedeutung des Titels NONONONONONO ist der Einspruch gegen allzu glatte, vorhersehbare, konfektionierte Abläufe, und das viermalige Aussprechen des Titels während des Spielens ist an sich ein Akt solcher Widerborstigkeit.» Sehr wahrscheinlich ging den Musikern auch Luigi Nono durch den Kopf, lange Zeit Prototyp eines widerständigen Komponierens.
Am nachdrücklichsten kehrt Keller zum Ausgangspunkt Free Jazz zurück in einem Abschnitt der Nr. 6, all three, ebenfalls für Sextett. Hier bildet sich bei zwei Mitspielern allmählich diskret, aber spätestens nach drei Minuten deutlich ein durchgängiger Puls im Bass als Beat-Grund heraus, von dem sich offbeat-artige Phrasen vor allem des Tenorsaxofons als Figuren abheben; diese greifen ihrerseits immer länger und weiter aus und entfalten sich zum Paradox eines kontinuier­lichen Chorus, offen solistisch außerdem. Nach dem Zusammenbruch des Beat treten kontrastierend-kompensatorisch zersplitterte Kurzcharaktere des Ensembles hervor mit Streichervorrang, Perkussionshintergrund und harfenden Klängen im Flügelinnern, dann unter anderem ein liegender Bratschenton in der Mitte wie bei Purcells Fantasy upon one note (später dann auch vom Klavier übernommen) mit anschwellenden Klaviergirlanden, Violin-Gezwitscher und immer wieder perkussiven Zwischenrufen. Die Coda ist mit ihren Flautando-Tönen und dem Abbrechen mitten in einer aufsteigenden Mikromelodie merkwürdig und bemerkenswert. Die Beiheft-Kommentare sind etwas unvollständig, aber informativ. Aufnahmetechnisch kommt die polyphone, oder vorsichtiger gesagt, mehrschichtige Gesamtstruktur deutlich heraus, auch gewissermaßen geometrisch-topografisch im Klangraum ortbar.

Hanns-Werner Heister