Tadday, Ulrich (Hg.)

Adriana Hölszky

Musik-Konzepte 160/161

Verlag/Label: edition text + kritik, München 2013, 188 Seiten, 28 Euro
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/06 , Seite 88

Erscheint eine Monografie, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um eine gütige Würdigung handelt, die nicht unbedingt auf besonderer Aktualität beruht. Zum Glück bleibt der nun auch schon sechzigjährigen Adriana Hölszky solch ein Schicksal erspart, denn zu einem honorigen Rückblick ist der Sammelband nicht geraten. Ganz im Gegenteil: Das lebendige Buch straft jene Lügen, die die Komponistin schon für ein Auslaufmodell gehalten haben.
In erster Linie neuere Werke kommen zu Wort. Eva-Maria Houben setzt sich mit dem szenischen Konzertstück Countdown auseinander, 2008 uraufgeführt in der Münchener Muffathalle als Auftrag der musica viva. Symptomatisch für Hölszky ist die Auswahl eines düsteren Sujets, dass – andere Aufsätze unterstreichen es – offenbar bis zum Defätismus neigende Wesenszüge spiegelt: Basierend auf einer Kurzgeschichte von Ver du Bois schildert Countdown die Irrfahrt eines Obdachlosen durch fünf österreichische Wohnheime. Das Geschehen reflektiert die Musik nur peripher. Laut Houben stehe trotz berichtendem Countertenor die Ausbildung eigener Strukturen im Vordergrund, wobei ihr Exkurs zum Strukturbegriff Helmut Lachenmanns etwas aufgebauscht scheint.
Adriana Hölszky spricht oft von «Struktur». Allerdings ist dies bei ihr weder lachenmannsch noch technizistisch im Sinne abstrakter Zahlenspiele oder postserieller Verfahren zu verstehen. Virulent ist eher – durchaus eine Peter Eötvös’ Auffassung ähnelnde – Interpretation von Musik als «Theatermusik». Maria Kostakeva arbeitet die Interessen für das Visuell-Bildnerische heraus und zugleich für eine «‹allwissende› Naturwelt». Mit Bezügen zu schwarm- und stampede-ähnlichen Prozessen zeichnet sie ein sehr klares Bild von Hölszkys Kompositionsverfahren. Bezüge zu neueren Werken wie der «vom Duktus des Apokalyptischen geprägten» Oper Der gute Gott von Manhattan (2004) oder dem bei den Wittener Tagen 2010 uraufgeführten Vokalwerk Die Hunde des Orion untermauern eindrücklich die Erkenntnisse, die Kostakeva breiter ausführt in ihrem soeben im Wolke-Verlag erschienenen Buch Metamorphose und Eruption. Annäherungen an die Klangwelt Adriana Hölszkys (Rezension nebenstehend).
Der gut lektorierte Sammelband bietet, stets fundiert, Werkbezogenes. Dass vieles an einer zu engen Bindung an Hölszkys eigene Erklärungen krankt, ist angesichts der verbreiteten Praxis eher schade als den acht Autoren vorzuwerfen. Wolfgang Gratzer kompensiert den Mangel durch eine Art mahnende Betrachtung von Hölszkys zahlreichen Eigendeutungen, die weniger der gewollten Rezeptionssteuerung entsprangen als einem freundlich kommunikativen Entgegenkommen. Gerade weil der Neue Musik-Betrieb – Stichwort Programmheft-Beitrag und O-Ton-Orientierung – Selbsterklärungen fordert und fördert, gewinnt der von Gratzer zitierte Ausspruch von Carl Dahlhaus besonderes Gewicht: «Der Komponist ist ein Exeget neben anderen, der nicht den geringsten Anspruch auf ein Auslegungsprivileg erheben kann.»

Torsten Möller