Kyriakides, Yannis

Airfields

Verlag/Label: Mazagran mz005
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/02 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Zwölf Satellitenbilder US-amerikanischer Mili­tär­stützpunkte der Luftwaffe und der Marine, von oben fotografiert – ein Panorama der Natur, in das der Mensch eingegriffen, wo er Hand angelegt hat, in dem er sich in und mit der Natur verschanzte und sie für seine militärischen Zwecke entfremdete. Yannis Kyriakides’ «Airfields» entwickelte sich aus drei Versionen, deren erste im Jahr 2008 als Auftragswerk für das neu gegründete Siren Orchestra der «Veen­fabriek» im holländischen Leiden entstand. In dem von Paul Koek geleiteten Musik-Theater-Ensemble arbeiten Wis­senschaftler und Künst­ler zusammen. Sirenen und Lärmmaschinen, die nach den Modellen des italienischen Futuristen Luigi Russolo und dem theoretischen Standardwerk «Die Lehre von den Tonempfindungen» (1863) des Physikers Hermann von Helmholtz gebaut wurden, dienten Kyriakides als Basis einer Klangarbeit, für die er eine grafische Notation fertigte, die auf dem Bildgewinnungsverfahren IMINT («Imagery Intelligence») basiert. In den USA werden die von Satelliten gemachten Bilder für nachrichtendienstliche Zwecke benutzt. Kyriakides übertrug die grafischen Spielanweisungen in elektronische Klanglandschaften, indem er die Konturen der Luftbilder in Klang transponierte, sozusagen Visuelles in Akustisches verwandelte. Aus diesem musikalischen Environment entstand die Komposition «Bases» für zwölfköpfiges Orchester, uraufgeführt beim SOS-Festival in holländischen Leiden.
In der nächsten Phase verfasste Kyriakides eigene Versionen der grafischen Notation aus dem Wunsch heraus, eine präzisere Artikulation dieser Soundlandschaften zu erreichen. Das führte zu festgelegten Tonhöhen und einem rhythmischeren Sound. Während dieser Überarbeitung erhielt Kyriakides den Auftrag für eine Großkomposition für die Pianistin Tomoko Mukaiyama und die Seattle Chamber Players zum fünften Icebreaker Festival im Februar 2010 in Seattle. So entstand die Komposition «Satellitis» für fünf Instrumente, eine atmosphärisch sehr kom­pakte Kammermusik in Verbindung mit Soundtrack-Variationen.
Noch mehr Tiefe, noch mehr Perspektiven für die ausführenden Ensembles, noch mehr Möglichkeiten, die Klanglandschaften zu vergrößern, sie zu harmonisieren – im Sinne spektakulärer Zusammenklänge unterschiedlichster Instrumente – und zu strukturieren, ohne das Intuitive zu verdrängen, gewährt Yannis Kyriakides’ dritte Version seiner musikalischen Reise zu realen Militärcamps und Basislagern: «Airfields» ist eine Komposition sowohl für solistische Partitionen wie für stringente Ensemble-Interpretationen. Seinen zwölf Airfield-Stücken verpasste Kyriakides die kryptischen Kürzel, die das US-Militär für seine Flugplätze benutzt. Aus den Luftbildaufnahmen im Booklet wird nicht deutlich, welcher Stützpunkt tatsächlich zu sehen ist. Der tiefe Fagott-Ton in «NSI» jedenfalls erinnert an das Ausgangsmaterial der Komposition: Wie in der ersten Version als Sirenenmusik angelegt, interpretiert das Ensemble musikFabrik hier den Basisklang und seine Echos. Spektakulär windet sich «LLNL» durch ein breites Labyrinth einer vermutlich irakischen Stadt und vermittelt die unübersichtlichen lokalen Bereiche in einer kakofonischen Ansammlung akustischer und elektronischer Klanggebilde.

Klaus Hübner