Xenakis, Iannis / Ludwig van Beethoven
Alax pour trois ensembles identiques dinstruments
+ Ludwig van Beethoven: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5
Ein Pultstar, der sich wirkungsvoll selbst inszenierte, war Ernest Bour nie, sondern ein Dirigent, der die eigene Person stets hinter die mit Genauigkeitseifer verfochtene Sache stellte. Bour, 1913 in Thionville geboren, startete seine Karriere zunächst in Genf und Strasbourg, bevor er nach dem Tod von Hans Rosbaud schließlich 1964 die Leitung des Sinfonieorchesters des Südwestfunks Baden-Baden übernahm. Seine Neigung zur zeitgenössischen Musik konnte er dort unter anderem im Rahmen der Donaueschinger Musiktage entfalten, wo er circa sechzig Uraufführungen leitete.
Eine fruchtbare Zusammenarbeit ergab sich auch mit dem Ensemble Modern, welches Ernest Bour des öfteren zu gemeinsamer Arbeit einlud. Zu den ersten Projekten gehörte die Realisation von Alax, einer von Iannis Xenakis geschaffenen Komposition für drei identisch besetzte, im Raum verteilte Ensembles. Eine Aufnahme der Uraufführung, welche im September 1985 in Köln stattfand, eröffnet die vorliegende CD. Neben dem Ensemble Modern waren zwei weitere, heute nicht mehr existierende Musikergemeinschaften an diesem Ereignis beteiligt: das Ensemble Köln und die aus der DDR angereiste Gruppe neue Musik «Hanns Eisler». Ernest Bour gelang es, die drei Klangkörper so zusammenzuschweißen, dass eine faszinierende Raumklangskulptur entstand, wie dieses Tondokument beweist. Die einzelnen Linien beginnen zu in sich rotierenden, fluktuierende Ränder aufweisenden Klangaggregaten zu verschmelzen, in denen aus den herkömmlichen Orchesterinstrumenten unerhörte neue Klangqualitäten entstehen.
Die Wiederveröffentlichung der damaligen Tonaufzeichnung bildet den Beginn einer geplanten Edition «Ernst Bour». Gekoppelt ist Alax auf der ersten CD dieses Projekts mit man höre und staune Beethovens Violinkonzert. Dieses Werk aus einer den Gehalt der Musik entstellenden Aufführungstradition zu lösen, war ein Herzensanliegen Bours, und das Ensemble Modern ließ sich gerne darauf ein, im Sinne der Ideen von Rudolf Kolisch über «Tempo und Charakter» in der Musik Beethovens den Gegenentwurf zu wagen. Der auf Carl Czerny zurückgehenden Tempoangabe «Viertel = 126» für den Kopfsatz folgt die vorliegende Einspielung ziemlich präzise. Vom Marschtritt der französischen Revolution beflügelt zeigt sich Beethovens Musik gegenüber einer eingeschliffenen, sentimental-süßlichen Interpretationsgewohnheit wie verwandelt, wobei der damals 25-jährige Geiger Thomas Zehetmair das forsche Tempo des Orchesters mitgeht. Bour treibt seinen Interpretationsansatz freilich nicht bis zur Pedanterie, sondern gibt dem Solisten auch Freiheit, sich einmal aussingen zu dürfen, bevor die Zügel wieder straffer angezogen werden. Der temporeiche Beginn strahlt auf die Folgesätze aus: besonders das folgende «Larghetto» darf schlanker ertönen als sonst, wo es oft genug als weihevolles «Adagio religioso» missverstanden wird.
Gerhard Dietel