Newski, Sergej

Alles

Edition Zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats

Verlag/Label: Wergo WER 6587 2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/06 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Hört man sich Sergej Newskis Kompositionen wieder und wieder an – und genau dazu lädt diese erfrischende Porträt-CD ein –, lassen sich immer neue, feine Details entdecken. Dadurch hebt sich die Musik angenehm von jenem ästhetischen und stilistischen Einheitsrauschen ab, dem sich viele andere Komponisten aus derselben Generation derzeit verschrieben haben. In der Tat besinnt sich Newski auf den Klang und seine Qualitäten, während er auf modische Verweigerungshaltungen verzichtet. Die Ausführenden, allen voran das gleich dreimal vertretene, glänzend disponierte Ensemble Mosaik, danken es ihm mit exzellenten Leistungen, denen man die Freude an der Wiedergabe der Kompositionen förmlich anmerkt.
Newskis Fähigkeit, der Musik eine auf dem Klang basierende Poesie einzuschreiben, ist enorm. Ein ausgezeichnetes Beispiel hierfür ist das Stück Blinden­alphabet, das, ausgehend vom zentralen Akkordeonpart, einem allmählich vollzogenen Ertasten und Überlappen unterschiedlicher instrumentaler Phrasen gleicht und dabei – auch im Umkippen dynamischer Schweller vom Klang ins Geräusch – der körpereigenen Prozesshaftigkeit von Atemzügen zu gehorchen scheint. Ähnlich wie die hier schrittweise ausgebreitete irisierende Klanglichkeit wirkt auch das zarte Klanggewebe, das sich in Alles um den von Jakob Diehl in sachlicher und klarer Diktion vorgetragenen Sprechtext herumlegt, indem es dessen rhythmische Impulse widerhallen lässt, sie erweitert, vervielfältigt und dadurch die Herausbildung mehrerer ineinandergreifender instrumentaler Schichten unterstützt. Auch in J’étais d’accord ist das instrumentale Geschehen um die Stimme gelagert: Zwar bleibt deren Part aufgrund seiner Textlosigkeit abstrakt, doch suggeriert er zugleich eine inhaltliche Narration, während die Klangfarben – etwa subtile elektronische Komponenten oder zersplitternde und zerplatzende Klänge im Schlagzeug – dieses Geschehen ausleuchten.
Eine vergleichbare Konzeption ist in Arbeitsfläche auf rein instrumentaler Ebene zu vernehmen: Newski fügt die Texturen aus vorwiegend gestisch konzipierten Abläufen zusammen, die sich assoziationsreich einer stimmnahen Diktion bedienen, und simuliert dadurch gleichsam szenische Vorgänge.
Angesichts dieser impliziten Theatralität verwundert es nicht, dass die künstlerischen Bemühungen des Komponisten auch dem Musiktheater gelten, was sich anhand der ausgedehnten Arbeit Autland nachvollziehen lässt. Als eine Art Sammelbecken zentraler kompositorischer Verfahren weist das siebenteilige Stück eine extrem plastische und vor allem sinnliche Behandlung der sechs solistischen Stimmen auf. Oftmals auf dem Kontrast zwischen Sprechen und Singen basierend, ist die Musik auch hier aus dem Wesen des Klangs entwickelt und wird über das Werk hinweg zu unterschiedlichen Spannungszuständen, Verdichtungs- und Auflösungsprozessen geführt – ein Prinzip, das, deutlich erkennbar in der «Toccata» mit ihren hoquetusartigen Stimmverzahnungen, auch auf der Mikroebene eine bedeutsame Rolle spielen.
Das alles ist in höchstem Maße spannend und macht Lust auf weitere Musik von Newski – und mehr kann man von einer solchen Porträt-CD wirklich nicht verlangen.

Stefan Drees