Stockhausen, Karlheinz
Amour | Der kleine Harlekin | Wochenkreis
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4
Als ein Pionier der elektronischen Musik ließ er sich in der ersten Begeisterungswelle über die schier grenzenlosen Möglichkeiten dieser neuen Technologie dazu verleiten, vorschnell das Ende des zeitgenössischen Komponierens für das herkömmliche Instrumentarium zu proklamieren. Doch binnen weniger Jahre besann er sich wieder auf die jeweils einzigartigen Qualitäten der althergebrachten Instrumente und die unverzichtbare Präsenz live-musizierender Interpreten, deren Rolle er fortan besonders hervorhob, indem er den Musikern Möglichkeiten zur spontanen kreativen Mitgestaltung ließ oder den latent theatralischen Charakter von Singen und Instrumentalspiel eigens auskomponierte.
Die neue CD-Einspielung drei seiner Werke für Klarinette oder Bassetthorn zeigen Karlheinz Stockhausen auf der Höhe seiner instrumentalen Erfindungskraft. Das gilt vor allem für den Zyklus Amour (197476), dessen fünf Einzelstücke er Frauen widmete, die bis dato in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt hatten: seine Frau Doris Stockhausen, seine zweite Frau Mary Bauermeister, die Flötistin Jaynee Stephens und gleich zweimal die Klarinettistin Suzanne Stephens, die ihn bis zu seinem Tod 2007 als treue Interpretin und Gefährtin begleitete und heute sein Erbe bewahrt. Alle fünf Stücke zeigen eine große spieltechnische Varianz, sagenhafte Klangfarbenpalette und bei all ihrer unverkennbaren materialen und strukturellen Konstruktion eine bestechende Klarheit und unmittelbare Fasslichkeit. Das fünfte Stück «Vier Sterne weisen Dir den Weg» variiert fortwährend eine kreisende Figur aus vier Tönen, die symbolisch für Stockhausens vier Kinder aus erster Ehe stehen. Die Dauer und Phrasierung der Töne wird in kleinsten Schritten so lange abgewandelt, bis sich mit Rhythmus und Artikulation nach und nach auch die Spiel- und Klangtechnik verändern. Kaum anders als bei Brahms oder bei Schönberg entfaltet sich alles ganz organisch in bester entwickelnder Variation.
Minder geeignet für die CD ist hingegen Der kleine Harlekin von 1975. Obwohl Michele Marelli mit großer Brillanz und gestischer Präsenz spielt, fehlt hier die Sichtbarkeit von Kostüm und Tanzbewegungen, die als integrale Bestandteile zum Stück gehören. Der italienische Klarinettist war Stockhausen im Alter von 18 Jahren begegnet, hatte bis zu dessen Tod zehn Jahre mit ihm zusammengearbeitet und bei den Stockhausen-Kursen in Kürten sechs Mal den Preis der Stockhausen-Stiftung für Musik gewonnen. Mit dem Stockhausen-Pianisten und -Kopisten Antonio Pérez Abellán spielte Marelli auch den 1988 entstandenen Wochenkreis für Bassetthorn und Synthesizer aus der Oper Montag ein. Wie sämtliche Teile der Opernheptalogie LICHT leiten sich auch alle Klangeigenschaften dieses Stücks aus der dreigliedrigen «Super-Formel» ab, die eine mit minutenlangen Tönen und Akkorden streckenweise allerdings eher uninteressant und zwanghaft wirkende Formel-Erfüllungs-Musik zur Folge hat.
Rainer Nonnenmann