John Cage

Aria

Aria with Fontana Mix | A Chant with Claps | Sonnekus2 | Eight Whiskus | A Flower | The Wonderful Widow of Eighteen Springs | Nowth Upon Nacht | Experiences No. 2 | Ryoanji

Verlag/Label: BIS-2149
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 74

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 4

Booklet: 3

 

Mit Aria (1958), einem der Schlüsselwerke experimenteller Vokalkunst, führt Nicholas Isherwood den Hörer zu Beginn der SACD direkt ins Zentrum seiner Auseinandersetzung mit John Cage. Selbstbewusst eignet er sich damit ein vom Komponisten zwar uneingeschränkt für Stimmen jeglichen Umfangs vorgesehenes, in der Praxis aber vor allem von Frauen interpretiertes Stück an und provoziert zudem den Vergleich mit der Einspielung durch die Widmungsträgerin Cathy Berberian, die heute zu den Klassikern der Cage-Diskografie gehört.

Geradezu exemplarisch macht Aria deutlich, dass vokale Ausdruckskunst sich nicht auf einen Stimmcharakter beschränkt, sondern dass es möglich ist, Stimmfarbe und Gesangsstil während des Vortrags ständig zu wechseln, um damit unterschiedliche, auch einander widersprechende vokale «Persönlichkeiten» zu verkörpern. Im Partiturvorwort hält Cage die von Berberian gewählten Stimmcharaktere – gebundenen an wechselnde grafische Notationsarten – fest, stellt den Ausführenden aber frei, sich für einen anderen Zugang zu entscheiden. Isherwood wählt für die zehn geforderten Stimmgebungsarten einen opernhaften Gesangsstil, das Singen durch ein Kazoo, den Vortrag mit hartem Kehlkopfvibrato, die normale Tongebung, den Sprechgesang, das Falsett, inhaliertes Singen, multiphones Knurren, den Flüstergesang und den nasalen Gesang.

Wie Berberian kombiniert er Aria zudem mit dem Tonbandstück Fontana Mix (1958), für die vorliegende Aufnahme vom italienischen Komponisten Gianluca Verlingieri realisert, halbiert jedoch die Aufführungsdauer von zehn auf fünf Minuten.All diese Vorentscheidungen führen zu einer sehr eigenständigen Realisierung, die nicht nur Isherwoods technische Meisterschaft beim Wechsel der Stimmtechniken belegt, sondern auch durch ihren flüssigen Duktus überzeugt.

Sieht man von der nachfolgenden Auswahl kürzerer Stücke ab, in denen der Sänger seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt, liegt der zweite Schwerpunkt der Produktion auf einer fast zwanzigminütigen Wiedergabe der häufig eingespielten Komposition Ryoanji (1983–85): Isherwoods Umsetzung der grafischen, für alle Besetzungen offenen Notation in Gestalt feiner, durch den Tonraum führender Bewegungen ist faszinierend und belegt, kontrapunkiert durch den vom Sänger selbst durch leise Schläge auf einem kristallenen Weinglas ausgeführten Perkussionspart, ein hohes Maß an stimmlicher Kontrolle undVariabilität im Klang. In ihrer Gesamtheit lässt die mit knapp 45 Minuten Spieldauer recht kurze Veröffentlichung deutlich erkennen, mit welchem Ernst sich Isherwood den Cage’schen Partituren widmet und die für seine Lesarten wesentlichen, die klangliche Seite der Ausführung dominierendenVorentscheidungen trifft. Die Klarheit, mit der er dies im Booklet darlegt, dürfte unterstreichen, dass es bei dieser Musik keinesfalls um Willkür geht, sondern dass hier tatsächlich enormes technisches Können gefordert ist.

Stefan Drees