Cage, John

ASLSP

Verlag/Label: NEOS 11042
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Dem Komponisten und seinen Spielanweisungen gerecht werden – das ist im Falle von John Cages Klavierstück ASLSP (As slow as possible) eine besondere Herausforderung. Ist es das? Cages Anweisung ist eindeutig: Das Stück ist so langsam wie möglich zu spielen. Genauso klar ist aber auch, dass eine verbindliche Interpretation dieses «So langsam wie möglich» nirgendwo zu finden ist. Die praktische Umsetzung der Anweisung kann da­her nur individuell aus Sicht des Interpreten gelöst werden, was Cage wenn nicht gemeint, so doch bewusst in Kauf genommen hat. Denn seine grundsätzlichen Vorstellungen von der Veränderbarkeit (s)einer Musik würden insbesondere in ASLSP offenbar werden – jeder Interpret definiert «so langsam wie möglich» für sich selbst und liefert eine entsprechende Möglichkeit, so langsam wie nur möglich zu spielen.
Natürlich ist das Ansichtssache, ein Gefühl des Erfahrens, Empfindung aus erlebter und gemessener Zeit: so langsam wie möglich. Cages Zeitproportionen pendeln zwischen der exakt einzuhaltenden Zeit-Vorgabe in 4’33’’ und der offenen Konstruktion von ASLSP. Er schrieb ASLSP 1985 für Solopiano und bearbeitete es 1987 auf Anregung von Gerd Zacher für Orgel: Organ²/ASLSP. Letzteres wird seit dem Jahr 2000 im sachsen-anhaltischen Halberstadt als Mehr-Jahrhundert-Projekt über einen Zeitraum von 639 Jahren aufgeführt. Dort vergehen zwi­schen einem Klang (Ton- oder Pfeifen-)wechsel locker auch einmal zwei oder drei Jahre!
Als Cage 1985 die Komposition fertigstellte, erschien Musik noch auf Vinylschallplatten mit einer Höchstspieldauer von zwanzig bis 25 Minuten pro Seite. Erst die Erfindung der Compact Disc ermöglichte Schallplattenaufnahmen bis etwa achtzig Minuten. Woraus sich schon für eine Studioaufnahme von ASLSP ein Unterschied von dreißig Minuten errechnet. Die Komposition besteht aus acht Stü­cken, sieben davon in unveränderbarer Reihenfolge, ein beliebiges Stück wird als achtes wiederholt, in der Aufnahme mit Sabine Liebner ist es Nummer sieben als zweites Stück.
Bei Liebner dauert ASLSP 64 Minuten, Steffen Schleiermacher braucht gerade einmal 16 Minuten, Stephen Drury etwa 18 Minuten. Auf dem Klavier kommt niemand auch nur annähernd an die Spieldauer beim Orgelprojekt heran. Allein schon aus physikalischer Gegebenheit verklingt jeder angeschlagene Klavierton nach einiger Zeit.
Musik der Wandlungen – Cages musikalischer Grund-Satz – auf ASLSP angewandt bedeutet zunächst einmal, dass an der Komposition nichts verändert wird: die Noten sind immer dieselben. Was sich aber verändert, ist die Dauer des Werks, denn «so langsam wie möglich» steht in unmittel­barem Zusammenhang mit Aufführungsort, -zeit und -interpret. Sabine Liebner löste die eigentlich simple Cage-Spielanweisung mit klug gesetzten Klangfolgen, die sie nahezu separatistisch aneinanderfügte und zu einem intensiven, ausgewogenen und «so langsam wie möglichen» Klangerlebnis führte.

Klaus Hübner