Dieter A. Nanz (Hg.)

Aspekte der Freien Improvi­sation in der Musik

Verlag/Label: Hofheim, Wolke 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 93

Das Buch Aspekte der Freien Improvisation in der Musik ist die Folge einer mehrjährigen Konzert- und Diskussionsreihe über Freie Improvisation, organisiert und kuratiert von dem Oboisten Hansjürgen Wäldele und dem Fagottisten Nicolas Rihs. Die beiden luden jeweils einen dritten Improvisierenden, gelegentlich auch eine Musikerin ein, drei Konzerte miteinander zu spielen. Im Anschluss an das dritte Konzert wurde über eben Gehörtes diskutiert – wobei jeweils ein Jahresthema die Konzert- und Diskussionsrunden bestimmte. Als Mo­derator fungierten abwechselnd zwei fachkundige Schreibende über Improvisation: Thomas Meyer und der Herausgeber des Bandes Dieter A. Nanz. Die Mitdiskutanten: Komponisten, Musikwissenschaftler, Philosophen – darunter über die Jahre hinweg tatsächlich keine einzige Frau! Um Bleibendes der flüchtigen, weil mündlichen und nicht aufgezeichneten Reflexion über Improvisation zu erhalten, entschloss Mann sich zur Herausgabe eines Buches. Die Beteiligten wurden gebeten, über Aspekte der Improvisation zu schreiben und zwar anhand folgender Fragestellung: «Welche Frage muss man stellen, um das Wesentliche der Freien Improvisation zu erfahren?» Freie Improvisation sollte als ästhetisches Phänomen betrachtet werden.
Die Frage ist nicht einfach beantwortbar, eindeutig schon gar nicht. Doch die Themen und Begriffe, mit denen in vielen dieser insgesamt 33 kürzeren und längeren Texte (bzw. in einigen poetischen Beiträgen vom Gedicht bis zur Grafik) hantiert und über Improvisation nachgedacht wurde, sind zum einen überschaubar, zum anderen aus Diskussionen über Improvisation oftmals leidlich bekannt. Der Wille zur Reflexion und Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun wird bei vielen Improvisierenden auch in diesen Texten deutlich. Wenn aber viele Texte in einer nuanciert variierten Formulierung bekannter Fakten bzw. Ansichten über Improvisation gefangen bleiben, so verweist dies mehr auf die Schwierigkeit, frei improvisierte Musik zu beschreiben, sie damit auch Wertkriterien zu unterwerfen und von anderer Musik und/oder (anderem) musikalischem Kunstschaffen eindeutig abzugrenzen – gerade auch aufgrund ihrer Prozesshaftigkeit im Gegensatz zur visuell analysierbaren notierten Komposition.
Dennoch ergeben die Texte einen nuancenreichen Einblick in verschiedene Betrachtungsperspektiven und häufig vorzufindende Beschreibungen dieses «ästhetischen Phänomens». Es finden sich diverse Versuche, Improvisation und Komposition voneinander zu unterscheiden oder aber ihre Verwandtschaften aufzuzeigen, Improvisation als Haltung und Lebensform oder aber als Kunst zu betrachten. «Risikobereitschaft», «das Unvorhergesehene» und «Spontaneität» sind Begriffe, die immer wieder neu betrachtet werden und mithilfe derer versucht wird, analytisch den Bedingungen des Improvisierens nachzuspüren. Die Grenzen dieser Begriffe als mögliche Charakteristika für Freie Improvisation werden dabei in einigen Texten thematisiert, in anderen jedoch unreflektiert übersehen. Einige Autoren aber gehen über eine solche, in der Beschreibung improvisierter Musik leider oft vorzufindende Postulatsetzung hinaus und hinterfragen, ob und warum die gewählten Begriffe ein besonderes Chrakteristikum der (Freien) Improvisation sein sollten.

Nina Polaschegg