Andre, Mark

…auf…

Verlag/Label: Wergo WER 73222
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 75

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4


Es ist sicher nicht abwegig, wenn Lydia Jeschke im Booklet der CD mit Orchesterwerken von Mark Andre Begriffe wie «Auferstehung» und «Triptychon» verwendet. Schließlich hält der Komponist mit Hinweisen auf Transzendenz und Metaphysik, Bibelstellen und Sinnsuche nicht hinter dem Berg. Aber warum «Triptychon» und nicht «Trilogie», wenn schon unentschieden bleibt, ob es ein dreisätziges Werk oder ein Zyk­lus sein soll?
…auf… 1: Zwanzig Sekunden lang ist nur der Hauch eines Bogenstrichs zu hören. Dann saust ein Hieb darnieder, und noch einer: eine Geißelung? Von religiöser Zuversicht scheint Andre so weit entfernt wie vom vollen Klang – aus vollem Herzen? – einer Bach-Kantate. Es sind, wie bei einem Lachenmann-Schüler kaum anders zu erwarten, dem sonoren Wohlklang entgegengesetzte Bereiche, denen der Komponist in den drei Orchesterwerken nachhorcht, oft ganz leise, dann wieder fast roh und gewaltsam. Leichte Schläge mit der Bogen-Rückseite auf Korpus und Saiten. Klaviercluster. Explosive Trommelschläge. Multiphonics bei den Holzbläsern, Reibungen eng aneinanderliegender Frequenzen bei den Blechbläsern: Mark Andre ist gewiss nicht der einzige, der solche geräuschhaften Erweiterungen des Instrumentalklangs zelebriert, aber er tut es mit besonderer Andacht und Ernsthaftigkeit.
…auf… 2 beginnt mit einem leisen Klopfen, gefolgt von einem einzelnen Klavierton. Dann zwei hart hintereinander angeschlagene Cluster, und nochmal zwei. Minuten lang sind nur zwei Klaviere zu hören, eines präpariert, nur Geräusche von sich zu geben. Dann greift eine Violine den Nachhall eines Klaviertons auf, und auf einmal kommt mehr Bewegung ins Spiel.
In …auf… 3 ist zunächst nur ein vereinzeltes Kratzen hie und da auf den Violinsaiten zu vernehmen, bevor auch hier heftige Schläge ertönen und in diesem Fall in einem elektronischen Resonanzraum verhallen. Es klappert und hallt, hohe Obertöne perlen aus den Instrumentalklängen heraus – oder sind sie auf elektronischem Wege erzeugt? Wie ein Hagelsturm prasseln die Schläge der Perkussionisten und Pianisten hernieder. Dann wieder stehen lange Töne, Klangflächen im Raum, von den Violinsaiten, Oboen, aus den Drähten kommend. An einer der schöneren leisen Stellen raschelt und trippelt es, als hätte man Ameisen auf einer Trommel abgesetzt, die dann von einem Gongschlag aufgeschreckt werden.
Das SWR Sinfonieorchester Ba­den-Baden und Freiburg, das …auf… 3 bei den Donaueschinger Musik­tagen 2007 uraufgeführt und mit ei­nem Preis ausgezeichnet hat, hat unter Sylvain Cambreling auch die vorliegenden Aufnahmen eingespielt. Zweifellos ist dies Spielkunst auf höchstem Niveau, mit erweiterten Spieltechniken, hohen Anforderungen an den Zusammenklang und die Geistesgegenwart jedes Einzelnen. Für den, der Nachbarn hat, ist die Aufnahme im heimischen Wohnzimmer allerdings nicht leicht anzuhören, da die leisen Passagen zwingen, die Anlage so weit aufzudrehen, dass die lauteren Stellen Zimmerlautstärke deutlich übersteigen.
Dietrich Heißenbüttel