Lenz, Ulrich / Stefan Weiss (Hg.)

«Aus einem Totenhaus»

Leoš Janáceks letzte Oper

Verlag/Label: Wehrhahn, Hannover 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 102

Wie in einem Brennpunkt trifft in Janáceks letzter, posthum uraufgeführter Oper Aus einem Totenhaus vieles von dem aufeinander, was die Ausnahmestellung des Komponisten innerhalb der europäischen Musikgeschichtsschreibung bestimmt. Aus unterschiedlichen Richtungen nähern sich die einzelnen Beiträge dieses Bandes dem Werk und seiner Rezeption sowie den außergewöhnlichen Kennzeichen von Janáceks Spätstil.
Die Voraussetzungen hierfür werden zunächst durch zwei analytische Untersuchungen zu den Eigenarten des kompositorischen Ansatzes geliefert: So bemüht sich Lorenz Luyken um ein generelles Verständnis der historisch singulären Position des Komponisten, indem er die Grundlagen, aber auch die spezifische Faktur und Dramaturgie der späten Instrumentalmusik anhand der darin erkennbaren sprachaffinen Kompositionsverfahren untersucht. Hieran anknüpfend vollzieht Markéta Štefková Janáceks Umgang mit Sprechmelodien von der Situation des Aufzeichnens bis zu ihrer im Sinn einer «psychologischen Entwicklungslogik» deutbaren Verwendung in instrumentalen Kontexten nach und bindet die hieraus resultierenden Beobachtungen darüber hinaus auch an die Analyse einer konkreten Opernszene.
Mit einem Aufsatz von Inna Klause tritt die besondere Thematik von Aus einem Totenhaus in den Blick: Ausgehend von Pressekritiken zur Uraufführung richtet die Autorin ihre Aufmerksamkeit auf zeitgeschicht­liche Parallelen zum Opernstoff wie etwa die Kulturerziehungsarbeit im sowjetischen Gulag und konstatiert anhand von Janáceks Eingriffen in Dostojewskis literarische Vorlage eine Veränderung des ursprünglichen Szenarios, die sich – im Sinn unbewussten Zeitbezugs – als Aktualisierung auffassen lässt. Melanie Unseld wiede­rum erläutert anhand historischer Dokumente die Umstände, aufgrund derer Aus einem Totenhaus nach einer Produktion am Opernhaus Oldenburg 1931 zum Objekt einer öffentlich ausgetragenen Kontroverse wurde, aus der sich wichtige Einblicke in Turbulenzen und Umbrüche der deutschen Theaterlandschaft dieser Zeit ergeben.
Eine sehr knappe Darstellung zur Inszenierungsgeschichte des Werks liefert, ergänzt um eine Disko- und Videografie, Jakob Knaus, während sich im Anschluss daran Ulrich Lenz ausführlich mit der Sonderstellung der Oper innerhalb des Repertoires befasst. Aus der Perspektive einer Fixierung des Komponisten auf die Darstellung einer «Prosa des täglichen Lebens» zieht er wichtige Konsequenzen für eine szenische Realisierung, die er anhand von Lösungsansätzen aus Barrie Koskys Umsetzung an der Staatsoper Hannover aus dem Jahr 2009 erläutert.
Der Anhang des Buches bietet schließlich noch eine kurze Einführung in Entstehung und Inhalt der Oper sowie eine wörtliche Übertragung von Janáceks Libretto in Gegenüberstellung mit dem tschechischsprachigen Original. Aufgrund seiner thematischen Ausrichtung eignet sich der Band hervorragend als fundierte Einführung in zentrale Aspekte von Aus einem Totenhaus, vermittelt jedoch darüber hinaus auch wichtige Impulse zum allgemeinen Verständnis der Originalität von Janáceks Komponieren.
Stefan Drees