Johannes S. Sistermanns

Ausculta

Hörstück mit den Cistercienserinnen der Abtei Lichtenthal Baden-Baden

Verlag/Label: Edition Sistermanns ES75004
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 89

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Ist die CD kaputt? Nein, das krachende Rauschen ist der Klang der Oos, wie sie hinter den Klostermauern der Abtei Lichtenthal, 1245 gegründet als Grablege der Markgrafen von Baden, zu Tal stürzt. Johannes S. Sistermanns macht vom ersten Augenblick an klar, dass es sich bei seinem Hörstück Ausculta nicht um eine spirituelle Wohlfühlmusik handelt, zur Entspannung mit uralten Chorälen. Die sind zwar zu hören: Als Auslöser des Werks gibt Sistermanns sogar an, er sei «elektrisiert von diesem fast körperlosen Gesang der Cistercienserinnen» gewesen. Doch er bürstet das in der Baden-Badener Abtei aufgenommene Material gehörig gegen den Strich.
Eine Frauenstimme setzt ein, mit leicht badischem Akzent. Was sie erzählt, bleibt unverständlich – bis auf einzelne Worte wie «Überraschungseffekt» oder «Bildschirmschoner». Es ist keine Reportage, keine Erzählung vom Tagesablauf eines Nonnenkonvents, obwohl alle Geräusche des Klos­teralltags vorkommen: das Knarren der alten Kirchenbänke, schwere Schritte, Vogelstimmen, manuelle Tä­tigkeiten, lateinische Textlesungen, Kirchenglocken, Wasser, Orgelklänge und eben der Gesang der Nonnen. Wobei Sistermanns die Choral- und Orgelmusik nicht um ihrer selbst willen erklingen lässt, sondern eher versucht, den Kirchenraum mit seinem langen Nachhall fühlbar zu machen, der zugleich metonymisch auf den langen Nachhall einer seit Jahrhunderten praktizierten Tradition verweist. Sind es Trockenübungen des Organisten an den Pedalen, was sich anhört wie ein rhythmisches Trommeln?
Freilich, das Spektrum dessen, was im Kloster erklingt, ist begrenzt – wenn man davon absieht, dass sich jede Stimme anders anhört, dass verschiedene Vögel verschieden singen, dass das Wasser mal rauscht, mal plätschert, mal tröpfelt und dass natürlich dem Organisten ebenso wie dem Chor ein reiches Repertoire zu Gebote steht. Aber da es darum nicht geht – weder um Kirchenmusik noch um Vogelstimmen, weder um Glaubensinhalte noch um das, was die Nonnen erzählen, also nicht um Inhalte, sondern um den Klang selbst als abstrahiertes Phänomen, das nach musikalischen Gesichtspunkten rekomponiert wird –, dreht sich die Angelegenheit doch ein wenig im Kreis: immer wieder Gesang, Sprechstimmen, Vogelgezwitscher, Kirchenglocken, Wassergeräusche. Wenn einmal der Schrei einer Krähe dazwischentönt, wirkt dies fast wie eine Erinnerung daran, dass es auch noch etwas außerhalb gibt, jenseits der geschlossenen Wände des Klosterbezirks.
«Also es ist schon was da … Resonanz … Urklang»: Identifizierbare Gesprächsfetzen zeigen, dass Sistermanns die spirituelle Übung monastischen Lebens mit seinem eigenen Anliegen des reinen Hörens in Eins zu setzen versucht. Der Titel «Ausculta» (Höre!) bezieht sich auf das erste Wort in der Regel des heiligen Benedikts. Doch bei aller darin angelegten Metaphorik: So ganz dasselbe ist es dann doch nicht, die weltliche Übung des reinen Hörens und die geistliche in der Klausur.

Dietrich Heißenbüttel