Schickentanz, Andreas

AXIOM

Verlag/Label: JazzHausMusik JHM 230
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 81

Musikalische Wertung: 3

Technische Wertung: 5

Booklet: –

Aus einem rasselnden Geräusch dringen metallische Schläge: eine Fabrik? Den Klangfarben nach scheint plausibel, dass die Posaune die einzige Klangquelle ist. Nach knapp eineinhalb Minuten verhallt das Geräusch, und die Posaune hebt an zu einem dreistimmigen Solo, das jazzartig phrasierte Melodiespiel immer begleitet von automatisch erzeugten parallelen Diskant- und Bassstimmen, die sich gegen Ende ins Geräuschhafte verzweigen und verhallen. Auf Häutungen – so der poetische Titel – folgt Zugzwang I: kein reines Glissando-Spiel, vielmehr bricht aus einem grummelnden Anlauf ein perlendes Solo hervor, das seinerseits auf einem 
vibrierenden tiefen Ton endet, der gleich eine ins Instrument gesungene Harmoniestimme erhält. In freiem Solospiel wechseln sodann brillante hohe Läufe mit brummelnden Schwebungen: virtuos dargeboten und kurzweilig anzuhören. 
Im folgenden Titel Schonfrist umspielen sich drei Stimmen in der blechigen, gepressten Klangfarbe der gedämpften Posaune, bis ein tiefer Ton in ein Schnarren übergeht, in dem das Zirpen von Zikaden eingefangen scheint, worüber wiederum eine gewöhnliche Posaune ihre Melodien extemporiert. In Pausenbrot umspielen sich drei in Tonhöhe und Klangfarbe unterscheidbare Posaunenstimmen in einem heiteren, zum Fingerschnalzen einladenden Rhythmus, bis eine Stimme allein übernimmt und schließlich von einer dichten, fast minimalistischen dreistimmigen Invention abgelöst wird. 
Bis dahin gut. Doch schon der nächste Titel Nachtblind variiert nur den dreistimmigen Modus des ersten Stücks, indem er ihn ins Dissonante, Geräuschhafte verbreitert. Das folgende, titelgebende Axiom beruht einmal mehr auf der Vervielfältigung der Posaunenstimme zu parallelen Linien im dichten Sekundabstand. Hat Andreas Schickentanz sein Pulver schon verschossen? Nicht ganz. Hundetraum lässt humorvoll über ei­nem rhythmischen Bassmotiv glissandierende, bluesige Melodiestimmen aufjaulen. In Kurzwellen schälen sich aus den Posaunenakkorden quiet­schende elektronische Klänge heraus, die an Störgeräusche von Kurzwellen­empfängern erinnern. Diese scheinbar unkontrollierbaren Störungen äfft der Posaunist wiederum nach, bis sei­ne Stimme in einem Echo-Teppich verhallt, der wiederum die Grundlage für neue Improvisationen bildet, bis am Schluss Klänge aus einem richtigen Kurzwellenempfänger zugespielt werden. 
Zugzwang II ist tatsächlich ein reines Solo ohne Effekte, in dem der Posaunist erwartungsgemäß alle Register zieht. So auch im folgenden Über die Einsamkeit im Weltall, dieses Mal aber mit allen möglichen Verdoppelungen und Verfremdungen. Das alles ist nicht schlecht, und doch ruht sich Schickentanz ein wenig zu selbstgefällig auf seiner phänomenalen Spieltechnik sowie seinen Zusatzgeräten aus und lässt Stringenz vermissen. Das abschließende Montieri (abends) überrascht nach einem weiteren Mal akkordischer Parallelstimmen am Ende mit eingespielten Field Recordings von Stimmen in italienischer Sprache, offenbar aus dem gleichnamigen Ort.
Dietrich Heißenbüttel