Fennesz

Bécs

Verlag/Label: Mego 165
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Wer mit dem unverkennbaren Stil von Christian Fennesz vertraut ist, wird auch bei diesem siebten Soloalbum nicht enttäuscht werden. An vorderster Front finden sich breite Klangwände, sogenannte Drones, angetriggert durch seine E-Gitarre, gefiltert durch den Laptop. Eine Menge Rauschen gibt es, brillant und differenziert produziert (am besten bei maximalster Lautstärke zu hören). Im Hintergrund die Gitarre als Pop-Instrument, simple Lines sind gebunden an in sich kreisende Akkordprogressionen, die das Gefühl von Sehnsucht erwirken. Die breiten Klangwände erhalten dadurch ihre metaphysische Bestimmung: Sie verweisen in ihrer die Wahrnehmung total einnehmenden Präsenz auf den unbestimmten Sehnsuchtsraum, den die nach und nach im Klangteppich verschwindenden Riffs emotional vorbereiten; wie Vögel im Rauschen eines Platzregens.
Die Klarheit trotz größter Klanggewalten macht Fennesz für ein so breites Publikum interessant. Aber auch für die Spezialisten. Nicht ohne Grund wurde er 2010 eingeladen, bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik das Atelier Elektronik mit Komponisten wie Orm Finnendahl zu bestreiten. Der Umgang mit populären Formen schließt eine Su­che nach ungehörten Klängen nicht aus. Und vielleicht stellt die Einbindung experimenteller Klänge in konventionelle Muster einen größeren Verdienst dar als ihre alleinige Zurschaustellung.
Nicht uninteressant ist, dass Fennesz eine echte Fangemeinde im Bereich elektronischer Musik aufzuweisen hat: Im Zuge der CD-Veröffentlichung bietet das Label Mego Editions T-Shirts mit dem Cover-Aufdruck zum Verkauf an. Selbst die Presse-CDs waren schnell vergeben.
Es ist eine zutiefst emotionale Mu­­sik, da sie erinnerte Formen mit der existenzialistischen Suche nach Klang­ekstase und Weltflucht verbindet. Stü­cke, die das exemplarisch verdeutlichen, sind Static Kings (mit Werner Dafeldecker am Bass), Liminality (mit Tony Buck am Schlagzeug) und das den Titel des Albums tragende Bécs, was der ungarische Name für die Stadt Wien ist, aus der Fennesz kommt. Diese Tracks funktionieren von der Idee her ähnlich wie die Soloalben Endless Summer (Mego 035, 2001) und Black Sea (Touch 76, 2008) zuvor, durch die Fennesz bekannt wurde: viel Hall, souveräne Gitarrenriffs, und über allem flirrend schimmernde und gleichsam monströse Klangflächen. Der erste Höreindruck könnte die Musik dem Genre der Meditationsmusik zuordnen. Ist sie aber einmal durch wiederholtes Hö­ren bekannt und innerlich akzeptiert worden, begeistert die Schlichtheit dieses Konzepts, das seine Klang­maschinen aufs Vollste ausreizt und gleichzeitig den Spagat zwischen einfachen Gitarrenriffs und komplexesten Klangschichtungen hinbekommt.

Bastian Zimmermann