Pulsinger/ Kurstin / Jeffery / Heggen

Besides Feldman

Verlag/Label: col legno WWE 1CD 20298
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/02 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

In eigenartiger Weise kommen auf der vorliegenden CD neue Musik und historische Musizierpraxis zusammen, denn auch die elektronische Klangerzeugung hat längst ihre Geschichte. In die Frühzeit dieser Historie rechnet das von Pamelia Kurstin gespielte Theremin, das 1919 durch den Russen Lew Termen entwickelt wurde und wegen seiner berührungslosen Tonerzeugung auch heute noch fasziniert. Doch auch der von Patrick Pulsinger benutzte Modular-Synthesizer aus den 1970er Jahren gehört mit seiner Analogtechnik – trotz neuerer zusätzlicher Steuerungsmöglichkeiten – eigentlich bereits ins Instrumentenmuseum.
In einer eigenwilligen Kombination von Klangquellen finden sich in der hier vorliegenden Einspielung Pamelia Kurstin, die sich als ursprüngliche Kontrabassistin ihren eigenen Zugang zum Thereminspiel erarbeitet hat, und Patrick Pulsinger, der schon vielfach als Livemusiker und Musikproduzent hervorgetreten ist, mit zwei weiteren Spielern auf traditionellen Instrumenten zusammen: dem Posaunisten Hilary Jeffery und der Kontrabassistin Rozemarie Heggen.
Dieses Zusammentreffen von akustischer und elektronischer Klangerzeugung geschieht im Zeichen von Morton Feldman, nicht jedoch in der Inter­pretation seiner Kompositionen, sondern in frei kreativer Auseinandersetzung mit dessen Gedankenwelt und Musikästhetik, bei der leise, repetitive Strukturen in unmerklichen Variantenbildungen im Vordergrund stehen.
Live aufgenommen wurden die hier zu hörenden musikalischen Dialoge «Besides Feldman» im Rahmen des Festivals Wien Modern 2010 und des darin von Patrick Pulsinger verantworteten dreitägigen Zyklus «Feld(man) Forschung» im als Aufnahmeort legendären Casino Baumgarten. Sie entstanden als Kollektiv-Improvisation auf der Basis von «Score Maps», die neben grafischen Strukturen auch traditionelle Noten und Texte enthalten. Überschriften wie «Patterns Not Loops» oder «Repeat Same Chord in Different Ways» sind dabei zugleich ästhetische Programme, sozusagen Wegweiser, die eine grobe Richtung des Musizierens vorgeben, doch genügend Freiräume des Aufeinanderhörens und -reagierens lassen, welche von den vier Ausführenden mit Mut zum Hervortreten wie zur Zurückhaltung genutzt werden.
Ergebnis war ein nahtloses Klangtextil von 53 Minuten Dauer, das freilich auf der CD in praktikable Tracks aufgeteilt wurde. Es spricht für die Musizierenden, dass man beim Zuhören von dieser Möglichkeit gar nicht Gebrauch machen will. Gerne taucht man in einen pulsierenden «Metaphysical Space» ein oder verliert in «Timeless Floating Music» und «Persian Carpets» geradezu das Zeitgefühl. Bei aller Ruhe der Klänge reißt dennoch der Spannungsbogen nie ab, und das gelegentliche Hervortreten von Soli aus dem Kollektiv sorgt in guter Jazz-Tradition auch für Abwechslung. Erfreulich ist überdies, dass die Mehrspuraufnahme die räumliche Position der Klangquellen aus Publikumsperspektive wiedergibt und auch bei fehlender Optik noch eine Ahnung von der Faszination des damaligen Live-Ereignisses entsteht.

Gerhard Dietel