Best of Augst & Daemgen

Verlag/Label: Kuckuck Schallplatten 11111-2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 74

Musikalische Wertung: 4

Technische Wertung: 3

Booklet: 4

 
Was kann entstehen, wenn Lieder aus dem 16. Jahrhundert auf einen Synthesizer treffen, wenn das 1933 von KZ-Häftlingen geschaffene Lied Die Moorsoldaten ein billiger Drumcomputer begleitet oder wenn Der heimliche Aufmarsch, einst vertont von Hanns Eisler und geschrieben von Erich Weinert und Ernst Busch, untermalt wird von Popbeats und Samples von O-Tönen aus DDR-Zeiten? Die Frage wäre schlicht zu beantworten mit dem CD Titel: ein Best of Augst & Daemgen. Dieses «Best of» also ist eine Art Dialog der Geschichte. Hier die Lieder, immer erkennbar durch Melodie und Text. Da der Einsatz von allerhand Elektronik, wo analoge Quellen mit viel Patina, aber wenig Pathos überwiegen.
Augst und Daemgen nahmen ihr ersten Album Brecht/Eisler 1998 auf. Danach kamen unter anderem An den deutschen Mond (2001), Marx (2004), Jugend (2007) und Arbeit Fassbinder Raben (2010). Für dieses «Best of» machten sie nun Remixes. Irgendwo zwischen Christoph Marthalers wunderbaren Abgesangstheatern wie Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab! und den «Genialen Dilettanten» gelingt den beiden Wahl-Berlinern ein durchdachtes Sittenporträt gesamtdeutscher Geschichte. 
Schön melancholisch singt – diesmal begleitet von einem Cello – Alexandra Maxeiner Ich stand auf einem Berge, das Volkslied aus dem 16. Jahrhundert. Witzig ist die Unterlegung des Goethe’schen Erlkönig mit einem getriebenen Techno-Beat. «Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?» Diesmal ist es nicht der Vater mit seinem Kind. In den Sinn kommt eher der verlorene Berliner Nachtflaneur, vielleicht gerade auf dem Weg in den Techno-Tempel Berghain.
Viele Charakterisierungen hat die Musik von Augst & Daemgen schon erfahren: «Reflektiert postnazistische Romantik-, Schlager- und Popkritik», stand in der Zeitschrift konkret, Die Welt schrieb, dass das Duo auf einem «schmalen Grat» wandele zwischen «Kunst und Kitsch im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Pop, Hochkultur und Underground». Das mag schon alles irgendwo stimmen, ist aber auch etwas hoch gegriffen. Augst und Daemgen sind einfach gute Musiker, die zwar politische Ambitionen haben, aber offenbar auch schlicht Freude an den alten Liedern. Vor allem aber kommt ihrem «Best of» zugute, dass das Duett Ideen und Fantasie hat. Kommt noch eine Portion Stilsicherheit dazu, kann kaum noch etwas schiefgehen. Etwas gewöhnungsbedürftig bleibt die sehr nahe Mikrofonierung des Gesangs und dessen etwas übertriebene Verhallung. Etwas mehr (trockene) Nüch­ternheit wäre da angemessener gewesen.
 
Torsten Möller