Szmytka, Jagoda

Bloody Cherries

Verlag/Label: Wergo - Edition zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats, WER 64142
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 80

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Rockige E-Gitarren-Töne mischen sich in das muntere Hämmern, Klopfen und Sägen auf Cello- und Kontrabasssaiten und -korpus sowie einer bunten Palette von Schlaginstrumenten. Scharf dringt die mit Rachen-R angeblasene Klarinette dazwischen, fast wie ein Saxofon. Nicht nur die E-Gitarre, alle Instrumente sind verstärkt, wie der Titel electrified memories of bloody cherries bereits andeutet: mittels Kontaktmikrofonen, die jedes noch so fragile Geräusch direkt an die Gehörgänge weiterleiten. Jagoda Szmytka scheint gerade darauf hin
zu arbeiten, den Abstand zwischen Klangerzeugung und Zuhörer so gering wie möglich zu halten, ja aufzuheben. Äußerst agil bewegt sich das Ensemble Garage weiter voran. Dann plötzlich eine Unterbrechung. Zersplitternde Klänge. Kleine Explosionen.
Blutige Kirschen: Auf dem CD-Cover und den Booklet-Bildern gibt sich die 1982 in Polen geborene Komponistin als Vampir mit vielen goldenen Armringen. Und tatsächlich: for travellers like angels or vampires heißt der zweite Titel, im Duktus ähnlich, wenn auch in etwas anderer Besetzung. Mäusegetrappel auf dem Dachboden über liegenden E-Gitarrenklängen, gleitenden Cellotönen und gehauchten Querflötengeräuschen. Ruhigere Momente auch hier, mit gezupften Glissandi, bevor sich das Geraschel fortsetzt, mit immer wieder überraschenden Wendungen. Es klingt fast wie Improvisation, ist aber fein konstruiert. Zwischen Komponistin und Ausführenden scheint es ebenfalls nur einen geringen Abstand zu geben.
Schritte, Klopfen, ein Pfeifen, leere Saiten: so beginnt hand saw WeltAll-Stars. Generously. Das Klavier drängt sich nicht vor, eher die im schnellen Tremolo auf- und absteigenden Violin- und Viola­passagen. Dass das Prin­zip auch mit Stimmklängen funktioniert, ist eine weitere Erkenntnis. Allerdings handelt es sich zunächst eher um konsonantische Geräusche mit Blockflöteneinsprengseln, aus denen nach und nach belanglose Sätze aus Internet-Chats hervortauchen.
In pores open wide shut tritt vor allem das Violoncello, aber auch die Flöte deutlich hervor aus einem erweiterten Klangspektrum, in dem Klavier und Schlagzeug allenfalls momentweise auf konventionelle Weise zum Einsatz kommen. Etwas aus dem Rahmen fällt f* for music, in dem E-Gitarre und Cello zunächst einen einzelnen hohen Ton ins Visier nehmen, bevor sie so richtig losrocken, um dann in tiefen Reibungen zu enden. In greetings from a doppelgänger schließlich sind, wie der Titel schon andeutet, die Klänge der fünf Instrumente jeweils noch einmal verzerrt über Kontaktlautsprecher in den Korpus hinein gespielt, was nach einem sehr dichten Anfang nach und nach ein erweiterte Klangspektrum erzeugt, das sich zum Schluss von seinem Ausgangsmaterial, bestehend aus Flöte, Viola, Violoncello, Klavier und Schlagzeug, ziemlich weit entfernt.
Alles in allem eine sehr lebendige CD mit gelungenen Momenten, auch wenn die Stücke sich mehrheitlich doch ein wenig ähneln.
Dietrich Heißenbüttel