Blue Dog

Kompositionen für Trompete und Elektronik von David Dramm, Michèl Koenders, Yannis Kyriakides und Agostino Di Scipio

Verlag/Label: Wergo Edition ZKM, WER 20632
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/02 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Etwa sechzig Jahre sind schon wieder vergangen seit der Geburtsstunde der elektronischen Musik Kölner Prägung. Vieles hat sich seither geändert: Ringmodulatoren oder Frequenzgeneratoren stehen mittlerweile im Museum, dafür der Laptop auf dem Tisch oder auf der Bühne. Wie jede neue Technologie und Technik hat der Quantensprung vom Analogen zum Digitalen auch seine Kehrseite. Viele ließen (und lassen) sich von den kaum fassbaren Computerarchiven verführen. Hinzu kam im Bereich live-elektronischer Musik das Problem, dass die «direkte Strahlkraft» digitaler Klänge jeden ins­trumentalen Ton an Präsenz, durchaus auch aufgrund einer gewissen Starre schlicht übertönte.
Hört man nun die CD «Blue Dog», erschienen in der von Wergo publizierten Reihe ZKM electronic des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, so könnte man die Schattenseiten glatt für ein vergangenes Problem halten. Durchweg, in jedem der vier Werke, bewegt sich der fantastische Trompeter Marco Blaauw auf Augenhöhe mit seinen Partnern, den digitalen Klängen. Sorgsam suchte sie jeder der vier weithin unbekannten Komponisten aus. Yannis Kyriakides garniert im «Dog Song (Cerberus serenades Orpheus)» (2006) die Kantilenen aus Blaauws Doppeltrichter-Trompete mit allerhand pulsierenden Staccato-Impulsen, die runde Sinustöne sein können, tiefste Bassregister oder sirrende, zirpende digitale Klicks. Beats ergeben sich, aber auch – mit tiefem Bewusstsein für ökonomische Gestaltung – ausgedünnte Passagen, die Blaauw Raum geben für seine stupende Tongestaltung. Beschränkt sich Kyriakides auf ein autonomes Zuspiel der Elektronik, präsentiert Agostino Di Scipio in seinem Werk «Modes of Interference / 1» (2001/ 2002) ein Audio-Rückkopplungssystem. Blaauw löst durch initiale Beigaben Prozesse des Computers aus, die er im weiteren Verlauf aber immer wieder neu beleben kann. Bookletautorin Julia Gerlach benutzt einleuchtend den Begriff eines akustischen Ökosystems, das Blaauw wunderbar im Gleichgewicht zu halten versteht. In David Dramms «(chaincurve)» (2006/2007) tritt zur Doppeltrichter-Trompete und zum elektronischen Zuspiel die Hammondorgel und ein Analogsynthesizer des Schweizers Dominik Blum. Ein improvisatorischer Gestus prägt dieses anfangs ruhig-poetische, später energischere Stück. Auf aparte Schwebungen und zarte Vibrati folgen ab etwa der Hälfte des Stücks schnelle Figurationen der Trompete, auf die Blum solistisch mit seiner stark verzerrten Hammondorgel antwortet. Von steril-digitalem Hochglanz keine Spur. Dafür eine Beruhigung des Geschehens in Form einer langen Coda. Die Hände winken und verabschieden sich artig von den Frühwehen der digitalen Ära, die übrigens auch schon wieder knapp zwanzig Jahre währt.

Torsten Möller