Larcher, Thomas

Böse Zellen / Still / Madhares

Verlag/Label: ECM New Series 2111 (475 3651)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/04 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Der 1963 geborene Österreicher Thomas Larcher ist – dies wird beim Hören der mittlerweile dritten Veröffentlichung seiner Musik beim Label ECM einmal mehr deutlich – eine der prägnantesten kompositorischen Persönlichkeiten innerhalb der europäischen Musikszene. Larchers Stilistik kennt durchaus zitathafte Allusionen – an Modelle und Formeln der Tradition ebenso wie der Avantgarde –, doch wie er diese zu etwas völlig Eigenem, unmittelbar Berührendem um­formt, fasziniert ungemein.
Etwa der Beginn des Klavierkonzerts Böse Zellen, in dem der Pianist mit einer großen Stahlkugel die Seiten auf- und abrollt: Das ist nicht einfach nur ein besonders ungewöhnlicher Klang­effekt, es eröffnet sich sofort ein geistig-emotionaler Raum – fragil, verloren, nachdenklich –, der den weiteren Verlauf der Komposition bestimmt. Das Genre des Konzerts wird in diesem Werk zwar nicht negiert, aber völlig neu definiert, indem das Klavier über gut zwei Drittel der Länge des vierteiligen Stücks mit Gummibolzen und Klebeband vollständig präpariert ist. Derart gefesselt und gehandicapt, muss sich das Instrument verzweifelt und oft vergeblich gegen das stets aktive und nicht eben freundlich kooperierende Orchester durchsetzen – bis am Ende des dritten Teils der Pianist und sein Umblätterer in einem theaterhaften Akt der Befreiung die Präparierungen entfernen. So etwas könnte wie ein billiger Effekt klingen, wirkt hier aber als dramaturgisch folgerichtiger Höhepunkt der Komposition. Es ist typisch für Larcher, dass sich die Musik danach keinen Triumph gönnt, sondern sich still zurückzieht. Pianist Till Fellner überzeugt als Kämpfer an den Tasten auf ganzer Linie.
Weder in den Bösen Zellen noch in den anderen beiden Werken der CD – Still für Viola und Kammerorchester und dem Dritten Streichquartett Madhares – kennt Larcher Berührungsängste zu Extremen. So gibt es in dem Quartett irrwitzig dahinjagende, manische, geräuschartige Passagen, bezeichnenderweise vor allem in den beiden «Sleepless» betitelten Sätzen – aber eben auch völlig tonale, liedhafte Passagen wie den diatonischen, ins Nichts entschwebenden Schluss.
Die Dogmatik der Avantgarde hatte Larcher während seines Studiums nach eigener Aussage geradezu erschreckt und er zog sich zurück – «in die Stille der Berge, um mein eigenes Ding zu machen», wie er in einem Interview verriet. Diese Stille ist in seiner Musik stets präsent, oft konterkariert jedoch von einer panikartigen inneren Unruhe. Das Zusammenspiel dieser beiden Elemente macht die Dynamik von Larchers Tonsprache aus. Alle beteiligten Interpreten identifizieren sich hundertprozentig mit dieser so individuellen, verletzlichen und doch von großer innerer Stärke geprägten Musik. Auf weitere Veröffentlichungen aus dem Œuvre Thomas Larchers darf man gespannt sein.

Thomas Schulz