Klein, Georg

Borderlines. Auf der Grenze

Thematischer Werkkatalog (deutsch/englisch), hg. von Sabine Sanio

Verlag/Label: Kehrer, Heidelberg 2014
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 87

Klangkunst ist ortsgebunden, d. h. sucht sich ihren Ort, um (genau) da zu sein. Häufig klingt es auch, denn Klangkunst bringt Stimmen, Klänge und Geräusche zu bestimmten Orten oder ruft sie in ihnen auf. Dabei geht es zumeist um die klangliche Inszenierung des Ortes selbst oder um historische Ausgrabungen nach dem Prinzip «Hören, was nicht mehr zu sehen ist, und sehen, was gegenwärtig blieb».
Georg Kleins Arbeiten zielen in eine andere Richtung, auch wenn sie den konkreten Ortsklang reflektieren und mitunter historisch aufgeladene Orte als Vehikel nutzen. Für Turmlaute 2: Wachturm war ihm 2007 beispielsweise ein DDR-Grenzturm solch ein historisches Vehikel für die vermeintliche Verführung zur Denunziation beim Urlaub an den EU-Außengrenzen. Seine Arbeiten zielen auf die Gegenwart, inszenieren Orte als Situationen, in denen man sich umtut. Sie dekonstruieren die Prozesse, die unser Leben maßgeblich bestimmen und uns trotzdem oft fremd sind.
Kleins Interventionen verorten Phänomene, Theorien und die kritische Reflexion, sie rütteln an Gewissheiten oder angelernten Fluchten, sind inhaltliche Wegmarken, entlang derer der hinzugezogene Besucher zum Grenzgänger wird. Formal steht Klangkunst – junges Gemüse im Vorgarten der alten Musen – ohnehin im Grenzland. So liegt es nahe, Kleins klangkünstlerisches Schaffen seit 2001 (transition – berlin junction) unter dem Begriff der «Grenze» zu subsumieren: borderlines von Georg Klein, der deutsch-englisch ausgeführte Katalog, geht nicht nur von der weit verbreiteten Auslegung der Klangkunst als Grenzdisziplin oder als randständiger Kunst per se aus, sondern vertieft sich in den Begriffen der Grenze und der Grenzziehung als Dreh- und Angelpunkt, an dem konkret Kleins Schaffen auszumachen ist.
Die Grenze als Scheidepunkt und situative Erfahrung ist ein Ort des Übergangs. Auf je einer Doppelseite in Text und Bild sowie mit QR-Code wird Kleins Werk also nicht chronologisch, sondern im Fokus des Dazwischen-Seins sortiert: zwischen Raum und Sprache, zwischen Kunst und Wirklichkeit, zwischen Leben und Nicht-Leben. Es breitet sich uns aus als politisches wie auch ästhetisches Grenzgängertum, das – gemäß den Gesetzen der Klangkunst – im­mer nach unserer eigenen Position in all dem fragt.
Kleins installative Grenzziehungen einzusehen, helfen die von Sabine Sanio zusammengetragenen, präzisen und darum lesenswerten Beiträge von Sanio selbst (Einführung in den Versuchsaufbau und dafür benötigte Begrifflichkeit), von Claudia Wahjudi (zur politischen Dimension von Kleins Ortsinterventionen wie der des Hörpfades toposonie: spree), Max Glauners rezeptionsanalytische Er­örterung des Partizipativen in der Klangkunst am Beispiel von Kleins Rotlicht-Intervention Sprich mit mir (2009) und abschließend das Gespräch zwischen dem Musikwissenschaftler Stefan Fricke und Georg Klein über Kunst und Politik des Ortes. Ein sehr gelungener Einstieg nicht nur in Georg Kleins Klang-Installationswerk seit 2001.
Andreas Hagelüken