Niblock, Phill
Brazil 84
Three Orchids for 3 orchestras | Two by Tom for 2 orchestras
«No Melody, No harmony, No Rhythm, No Bullshit» keine Melodie, keine Harmonie, kein Rhythmus, kein Scheiß. So bezeichnete der Kritiker Tom Johnson einmal die Musik des amerikanischen Komponisten Phill Niblock. Der in New York lebende Komponist ist ein Minimalist. Seine massiven Klangwände bestehen lediglich aus Tönen, die über einen langen Zeitraum ausgehalten werden. Phill Niblock komponiert Drones monochrome und vermeintlich unbewegliche Klangklötze. Sie sind einfach da, sie nehmen den Raum ein, sie könnten ewig weiterklingen.
So komponiert er seit vielen Jahren. 1968 beginnt er Musik zu machen. Niblock, Jahrgang 1933, ist kein ausgebildeter Komponist, dafür ein Klang-Baumeister, ein akustischer Feinmotoriker. Für seine Kompositionen verwendet er Klänge von Saiten- und Blasinstrumenten, die er sorgfältig aufnimmt und dann arrangiert. Um seinen massiven Sound zu erzeugen, schichtet er die aufgenommenen Instrumente am Computer im Studio übereinander. Dabei arbeitet er mit eng beieinander liegenden Tonhöhen. Aus der Kombination dieser Töne entstehen durch die Reibung Obertöne, deren Entwicklung und Ausbreitung von der Architektur des Konzertsaals abhängig ist.
Parallel zu seinem musikalischen uvre betätigt sich der Komponist auch als Filmemacher, seine künstlerische Laufbahn begann er als Fotograf. Brazil 84 ist ein Teil der Filmserie The Movement of People Working, die Niblock zwischen den Jahren 1973 und 1991 bei seinen Weltreisen aufnahm, die ihn hauptsächlich an nichteuropäische Orte führten. Die hier vorliegenden Aufnahmen hat Niblock bei einer Brasilienreise festgehalten. Man sieht Hafenarbeiter, die Holzboote bauen, Fischverkäufer, die ihre Meeresware penibel säubern, oder Menschen, die Felder bestellen. Eine Handlung gibt es nicht. Es liegt keine teleologische Struktur vor, die Bilder arbeiten nicht auf einen Höhepunkt zu.
Ganz so wie die Musik. Sie untermalt die Aufnahmen lediglich mit mächtigen Borduntönen, die von einem Orchester gespielt werden. Es ist eine visuelle Ästhetik der Einfachheit, die Niblock zelebriert. Eine Ästhetik, die weder eine ideologische Agenda verfolgt, politisch ist, noch den Autor in den Mittelpunkt rückt, auch nicht ihre Darsteller:?Bewegt sich ein Arbeiter aus dem Bild heraus, wird er nicht vom Auge der Kamera verfolgt, die zudem auch selten die Köpfe ihrer Protagonisten einfängt. Und trotzdem entfaltet sich aus der Fusion von Bild und Ton eine meditative Poetik der Bewegung, in deren Zentrum der menschliche Körper steht. Ein Körper, der kinetische Energie entfaltet, unterschiedliche Arbeitsabläufe verrichtet, die von Niblock in ihren vielfachen Variationen auf Film dokumentiert werden. Nicht mehr und nicht weniger. Man sieht, was man sieht, und hört, was man hört. Resultat dieser schlichten Arbeitsweise sind Bilder und Töne, deren meditativer Sogwirkung man sich nur schwer entziehen kann.
Raphael Smarzoch