Demierre, Jacques
Breaking Stone
Three Pieces for Player Piano / Sumpatheia / Breaking Stone
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4
«Es tanzt das ZNS», hieß es einmal bei den genial dilettantischen «Einstürzenden Neubauten». Das zentrale Nervensystem bringt auch dieser Jacques Demierre in Schwung. Breaking Stone, das heißt erstmal: eine radikal persönliche Musiksprache fernab jeglicher akademischer Konventionen. Im zehnminütigen Stück Sumpatheia geben Violine und Gitarre ein feines Duett. Dünn ist der Ton der fantastischen Violinistin Denitsa Kazakova, der Gitarrist Jean-Christophe Ducret spielt zaghafte Flageoletts dazu. Introvertiert klingt das, locker aus dem Ärmel geschüttelt, aber nie beliebig. Mit technischen Begriffen ist Jacques Demierres Sumpatheia kaum zu beschreiben. Harmonisch ausgesprochen reichhaltig, farbenfroh all das könnte man sagen. Doch es bleiben Nebensachen. Es ist einfach kluge, stilsichere Musik, vor allem auch glaubwürdige Musik wegen ihrer so offenen, ungeschützten Subjektivität.
Jacques Demierre, 1954 in Genf geboren und heute dort lebend, ist Pianist, Improvisator und Komponist. Sumpatheia hat er ausnotiert, in Breaking Stone lässt er weit mehr Freiräume. Das Stück ist so etwas wie eine explorative Studie über Wort, Klang und Bedeutung. Demierre, der eine Zeit lang Linguistik studierte, spricht unverständliche Sprachfetzen in den Klavierkörper hinein und begleitet seine Äußerungen mal mit vorsichtig-tastenden Akkorden, mal mit Griffen ins Klavier, in Form von «Saitenstreichlern», energischeren Pizzikati oder Schlägen. Die Länge von vierzig Minuten hat ihren Grund. Es braucht Zeit, um das Ohr zu gewöhnen an diese rätselhaften Engführungen von Stimme und räsonierendem Klavier.
Wie weit Demierre seinen stilistischen Bogen spannen kann, zeigen die Three Pieces for Player Piano. Wie in fast jedem Stück für Player Piano werden Erinnerungen an Conlon Nancarrow wach. Füllig ist das Klangbild mit seinen energisch wiederholten Staccati. Schnelle, in sich kreisende Bewegungen des zweiten Satzes «para bailar» stehen komplexeren Rhythmen des dritten Satzes gegenüber. Offenbar war Demierre als Teenager fasziniert von einem Konzert des amerikanischen Blues-Pianisten Jack Dupree. Die amerikanische Sphäre äußert sich unter anderem durch versteckte Bezüge zum Ragtime und zu George Gershwin.
Die bei John Zorns Tzadik-Label erschienene CD überzeugt musikalisch wie technisch. Ein kurzer, aber alles Nötige umfassender (englischer) Text von Guillaume Belhomme trägt seinen Teil bei zu einem stimmigen Gesamtbild. Zweifelsohne: Jacques Demierres Breaking Stone ist eine ungewöhnliche Bereicherung.
Torsten Möller