Britten Bach Ligeti

Benjamin Britten: Third Suite op. 87 / J. S. Bach: Suite VI D-Dur BWV 1012 / György Ligeti: Sonata

Verlag/Label: ECM New Series 2152
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/03 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Perényis Solo-Recital ist eine Offenbarung! Was das herrliche Instrument (ein Gagliano von 1730) unter den Händen seines Meisters zu singen und zu sagen weiß, gleicht einer Neuschöpfung. Kam ein Cellist dem Wesen der Werke, dem Geist ihrer Schöpfer je so nah?
«Mensch, werde wesentlich; denn wann die Welt vergeht, / so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht» – dieser Sinnspruch des Angelus Silesius scheint den Virtuosen zu leiten. Als Professor der Budapester Liszt-Akademie sorgt Perényi seit 1974 dafür, dass sein Ethos fortlebt in den jungen Fackelträgern der Zunft.
Dass Britten seine Suite für Mstislaw Rostropowitsch schrieb, ist aus Perényis anmutsvoll schwerelosem Spiel ebenso herauszuhören wie die Leidenschaft, die alle drei Tonkünstler vereint. Sie gilt dem Tanzgeist und der Singkunst des Barockzeitalters, transzendiert im rhetorischen und spirituellen Kosmos Bachs. Unermesslich die Weite der Seelenlandschaft, die Perényi in Brittens abschließender Passacaglia aufspürt – samt Flaschenpost aus dem Volksliedschatz Russlands. Gleichermaßen vegetativ wie vergeistigt erhebt der Ungar Bachs sechste, auf dem viersaitigen Cello ziemlich knifflige Suite zur Apotheose des Tanzes. Ligetis frühe Liebesgrüße an eine mitstudierende Cellistin liest er nicht nur als Hommage an Bach, Paganini und die magyarische Volksmusik, sondern auch als Rebellion gegen die ästhetische Zwangsjacke der Stalin-Zeit.

Lutz Lesle