Cerha, Friedrich

Bruchstück, geträumt / Neun Bagatellen / Instants

Verlag/Label: Kairos 0013152KAI
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 97

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Es ist nicht mehr als recht und billig, einem Pionier der Mahler-Renaissance und der Rehabilitation Schönbergs und seiner Schüler, einem Komponisten zudem, der den dritten Akt von Alban Bergs Oper Lulu im Auftrag der Universal Edition Wien zur Aufführungsreife brachte (Uraufführung Paris 1979) und nicht zuletzt kraft eigenen Schaffens als Berufener gelten darf, zum 85. Geburtstag mit einer CD-Edition zu ehren. Einem Altersporträt gleichsam – enthält sie doch drei seiner jüngsten Werke in meisterlichen Interpretationen.
Zusammen mit Kurt Schwertsik gründete Friedrich Cerha 1958 das Wiener Kammerensemble «Die Reihe», das sich der Musik der Zweiten Wiener Schule und der (damals) jungen Zeitgenossen annahm. Erbe dieses Pioniergeistes ist das Klangforum Wien, das Cerhas 2009 komponiertes Bruchstück, geträumt 2010 im Wiener Konzerthaus aufnahm. Der Werktitel wirkt wie eine Chiffre der Romantik, die das Fragmentarische und Träumerische zu ästhetischen Ehren brachte. Die Mu­sik kommt aus der Stille. Seltsam, im Nebel zu wandern. Nur gelegentlich tauchen schärfer umrissene Gestalten auf. Cerha entdeckt die Langsamkeit, geht tastend auf Gegenkurs zur Ameisenhektik der Welt, versucht dem Diktat der Zeituhr zu entkommen. Wie in manchen Werken Schuberts scheint die Zeit nicht zu vergehen.
Als Hauptmerkmal seiner musikalischen Ideen gab Cerha 1972 an, auf Dialektik, motivische Arbeit und sogar auf Kontraste wenig Rücksicht zu nehmen. In seinen Vorbemerkungen zur vorliegenden Einspielung der zweiteiligen, 2006/07 im Auftrag des WDR entstandenen Instants für Orchester spricht er davon, dass er es leid geworden sei, «in der Musik den ‹Schweiߛ von kompositorischer Arbeit zu hören». Darum habe er «langwierigen sinfonischen Fluss» vermieden. Tatsächlich wirkt die «Augenblicksarbeit» der Instants spontan. Sie reiht kleinräumige Elemente, kennt aber auch querstehende Klangballungen. Doch findet sie immer wieder zurück zu gediegener Schönheit. Vielleicht könnte man die Musik «panharmonisch» nennen. Das WDR Sinfonieorchester Köln und sein kompetenter Gastdirigent Peter Rundel machen sich Cerhas traumlogische Tonwelt diskret zu eigen.
Eine Ohrenweide sind schließlich und nicht zuletzt die Neun Bagatellen für Streichtrio aus dem Jahr 2008, die ebenfalls der WDR bestellte und dem Zebra Trio anvertraute, zu dem sich Ernst Kovacic (Violine), Steven Dann (Viola) und Anssi Karttunen (Violoncello) verbündeten. Der drollige Name huldigt den Tigerpferden, deren Fähigkeit, einander zu ähneln, ohne gleich zu sein, sich das Trio zum Vorbild nahm. Wie in den Neun Bagatellen zu hören, in denen Cerha sich mit Akribie der Aufgabe stellte, drei gleichberechtigte Spielpartner in ein «stimmiges» Geschehen einzubinden. Man gewahrt fest umrissene Klanggestalten, doch wird mit ihnen (eingedenk ihrer kurzen Lebenszeit) weniger gearbeitet, als dass sie changierend bei sich bleiben. Trotz ihrer Charakter-Verschiedenheit fügen sich die neun Miniaturen, deren Affektspektrum von Schwermut über Zorn bis zur unerträglichen Leichtigkeit des Seins reicht, zwingend zur Einheit. Lutz Lesle