Liang, Lei

Brush-Stroke

Verlag/Label: mode 210
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

Der unverkennbare Arditti-Sound schlägt einem am Beginn dieser Porträt-CD entgegen, doch wäre es voreilig, aus diesen Pizzicati, Glissandi, Flageoletts und Ponticello-Akkorden gleich insgesamt auf die Musiksprache von Lei Liang zu schließen. Denn der gebürtige Chinese, Jahrgang 1972, der seine Heimat verlassen musste und sich inzwischen als «amerikanischer Komponist» sieht, hat ein vielgestaltiges Werk vorgelegt, das etliche Idiome streift. Dass er unter anderem bei Har­rison Birtwistle und Chaya Czernowin studierte, hat darin genauso Spuren hinterlassen wie der Umstand, dass Chiang, seit 2007 Professor an der University of California (San Diego), traditionelle asiatische Musik wissenschaftlich untersucht. Und so lassen sich die Stilmittel der westlichen Avant­garden in seinen Stücken ebenso finden wie Reflexe auf Kunstformen seines Heimatkontinents, es lassen sich aber auch «postmoderne» Strategien der di­rekten Gegenüberstellung divergierender Materialien ausmachen.
Der punktuelle bis bruchstückhafte Stil der Serashi Fragments mit dem Arditti Quartet zeigt eine große Beherrschung des kompositionstechnischen Metiers, ebenso wie Some Empty Thoughts of a Person from Edo für Cembalo: Hier führen allmählich aus Einzeltönen gebildete melodische Fragmente weiter zu Klangballungen im Sinne des «Kontinuum»-Effekts wie bei dem gleichnamigen Stück von György Ligeti, bei dem die Töne in schwarm-artige Gestalten aufgehen. Ein von Arpeggien begleiteter und von Auflösungsfeldern durchsetzter kantabler Teil schlägt demgegenüber eine konträre musikalische Sprache an.
Souverän verfügen der Komponist und der Musiker Chien-Kwan Lin in Memories of Xiaoxiang für Altsaxofon und Tonband über instrumententypische Spezialeffekte wie Klappengeräusch und Multiphonics, die auch sehr für die technische Qualität der Aufnahme sprechen. Neben sirenenartigen Glissandi kommen vom Tonband überdies asiatische Gesänge herein, so dass die Komposition den Cha­rakter einer Montage annimmt. Neben dem Trio für Violoncello, Klavier und Schlagzeug, in dem versprengte Ereignisse eine «jazzartige» Szene umrahmen – die Harmonik knüpft bei genauerem Hinhören bei Liang häufig an tonale Muster an –, sowie In Praise of Shadows für Flöte und dem vierteiligen Zyklus My Windows für Klavier wird die CD von Brush-Stroke für Ensemble komplettiert: The Callithumpian Consort und Dirigent Stephen Drury interpretieren das von chi­nesischer Kalligrafie inspirierte Stück mit Gespür für die filigrane Klangwelt, die mitunter in kollektives Trillern und Flirren mündet, und widmen sich auch den Rufen der Musiker wie in südostasiatischen Traditionen mit Hingabe.

Daniel Ender