DeMarinis, Paul

Buried in Noise

hg. von Ingrid Beirer, Carsten Seiffarth und Sabine Himmelsbach

Verlag/Label: Kehrer, Heidelberg 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 94

Mediengeschichte ist keine eingleisige Fortschrittsgeschichte, in der neue Medien den vorangehenden wie im Gänsemarsch folgen. Vielmehr stellen Mediengemische, in denen stets auch Rückgriffe auf ältere Mediensituationen enthalten sind, den Normalfall dar. Diese Einsicht wird nicht allein von der Medientheorie explizit vertreten, sie liegt darüber hinaus zahlreichen künstlerischen Ansätzen seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts zugrunde.
Zu den Pionieren medienbewusster künstlerischer Arbeit zählt der 1948 in Cleveland Ohio geborene Klang- und Medienkünstler Paul DeMarinis. DeMarinis, der als Kind oft seinen Vater, einen bei der US-Gesundheitsbehörde angestellten Genetiker, begleitete, wenn dieser die Verteilung radioaktiven Fallouts nach Atomtests in der Wüste Nevadas ermittelte, vertritt einen technikphilosophischen künstlerischen Ansatz und hat es sich zur Aufgabe gemacht, «der Welt, die wir uns geschaffen haben, auf den Grund zu gehen, und der Frage nachzuspüren, wie sich materielle Hilfsmittel in unsere persönlichen Beziehungen, unser Verständnis des physischen Universums und des eigenen Ursprungs sowie in unsere Zukunftsvorstellungen einschreiben». Dabei integriert er sowohl neueste technische Entwicklungen wie auch historische, heute zum Teil weitgehend vergessene Technologien in seine installativen Arbeiten.
Anlässlich seines Aufenthalts als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, einer Ausstellung in der daadgalerie, seiner zweiten Ausstellung in der singuhr – hoergalerie Berlin sowie der ersten retrospektiven Ausstellung seiner Arbeiten im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst Oldenburg ist nun die erste umfassende Monografie dieses bedeutenden Künstlers erschienen. Der sehr schön und aufwändig mit vielen Farbabbildungen gestaltete zweisprachige Band enthält in einem ersten Teil sieben Essays namhafter Medienwissenschaftler wie Erkki Huhtamo, Douglas Kahn und Siegfried Zielinski, die aus jeweils eigenen Perspektiven eine Kontextualisierung der Arbeit DeMarinis’ herstellen. Der zweite Teil ist der Dokumentation der Installationen des Künstlers von 1973-2010 gewidmet. Insgesamt werden 32 Arbeiten mit kurzen Texten des Künstlers selbst, Skizzenmaterial und Farbabbildungen vorgestellt. Damit wird ein nahezu vollständiger Überblick über die Arbeit DeMarinis’ gegeben. Ergänzt wird dieser Teil durch die knappe Darstellung von sieben Performances des Künstlers. Besonders gewinnbringend ist zudem der letzte Teil des Buchs, der neun Texte DeMarinis’ aus den Jahren 1988 bis 2004 versammelt. Darin zeigt sich eindrucksvoll, wie DeMarinis in seinem künstlerischen Forschungsansatz höchst be­deutsame Fragen an die zeitgenössische Kultur mit originellem, spielerischem Einfallsreichtum verbindet, der neue Denk- und Handlungsspielräume eröffnet.
Das Buch ist eine material- und gedankenreiche Fundgrube für LeserInnen, die sich für die Rolle der Technik in der zeitgenössischen Kunst und Kultur interessieren. Der sorg­fältig aufbereitete Anhang macht es zudem zu einer guten Grundlage für weitere Forschung.
Marion Saxer