Schröder, Julia H.

Cage & Cunningham Collaboration

In- und Interdependenz von Musik und Tanz

Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 93

John Cage und Merce Cunningham haben mehr als fünfzig Jahre zusammen gelebt und gearbeitet. Das gemeinsame Œuvre ist von beträchtlichem Umfang. Die Musikgeschichte und Tanzgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde davon wesentlich beeinflusst und geprägt. Bisher jedoch wurden die Geschichtsbücher zu diesem Phänomen mehr oder minder getrennt geführt, von Musikwissenschaftlern auf der einen und Tanzwissenschaftlern auf der anderen Seite. Dass die Arbeitsprozesse von Cage und Cunningham jedoch oft nicht so scharf getrennt verliefen, weil beide über Kompetenzen im Metier des anderen verfügten, wurde registriert, aber nicht explizit als Hypothese einer wissenschaftlichen Arbeit formuliert.
Julia H. Schröder, die sich selbst als Musikwissenschaftlerin beschreibt, die mit der Perspektive einer Außenseiterin auf den Tanz blickt, ist das Wagnis einer übergreifenden Analyse eingegangen und hat dafür einen enormen Arbeitsaufwand betrieben. Als Grundlage für ihre Arbeitshypothese, dass die Mu­siken von Cage für die Cho­reografien von Cunningham sowohl abhängig wie unabhängig von diesen entstanden sind wie umgekehrt, dient Schröder ihre Be­obachtung, dass Cage die Komposition der rhythmischen und damit auch zeitlichen Ebene offenbar aufgeben konnte, weil diese von Cunningham, stärker als bei anderen Choreografen gemeinhin der Fall, mitgestaltet wurde.
Als Quellen hat die Autorin neben Partituren Audio- und Videoaufzeichnungen dokumentarischen wie künstlerischen Zuschnitts benutzt sowie Skizzen und Entwürfe von Cunningham, Cage, Pauline Oliveros und Morton Feldman. Nach einem allgemein einleitenden Kapitel zu dem Umfeld, vor dessen Hintergrund die «Cage & Cunningham Collaboration» zu denken ist, darunter die Tanzbewegungen von Mary Wigman und Martha Graham, hat sich Schröder zur Strukturierung des schier mäandernden Themas in den Kapitelüberschriften auf jene Parameter und Methoden konzentriert, die für das kompositorische wie analytische Verständnis von Cages Mu­sik eine zentrale Rolle spielen. Die weiteren Kapitelüberschriften lauten «Zufallsoperationen», «Indetermina­cy», «Zeitkonstruktion», «Interdependenz durch Technologie», «Spiele», «Stille». Zwischengeschaltet sind Betrachtungen zu den Inszenierungsparametern und eine Betrachtung über die Verknüpfung von Kompositionsprozess und choreografischem Prozess. Als Analysegegenstände fungieren einige der bekanntesten Arbeiten der «Cage & Cunningham Collaboration». – Eigentlich eine brillante Systematik. Was die Lektüre dann doch erschwert, ja stellenweise intransparent werden lässt, ist die Tendenz der Autorin, unter der Last der ungeheuren Materialfülle, mit der sie hier umzugehen hatte, immer mal wieder auf Nebenschauplätze auszuweichen; diese hätten nicht alle zwingend bespielt werden müssen. In manchem Einzelfall wäre eine engere Verknüpfung der Details mit dem Gesamtkontext für die Lesbarkeit hilfreich gewesen.
Fazit: Im Grunde wünscht man sich in Anbetracht der Kärrnerarbeit, die von der Autorin auf dem Feld der Materialrecherche geleistet wurde, eine auch stilistisch überarbeitete und gestraffte Version. Diese könnte dann auch für die Praxis von allergrößtem Wert sein.
Annette Eckerle