Carter, Elliott / Zimmermann, Udo

Cello Concerto / Lieder von einer Insel. Concerto per violoncello ed orchestra

Verlag/Label: NEOS musica viva 18, NEOS 11014
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Mit 93 Jahren, im Jahre 2001, schrieb Elliott Carter ein zwanzigminütiges Cellokonzert. Die Vorstellung von musikalischen Gruppen, deren Existenz nicht im Miteinander, sondern im Gegeneinander begründet liegt, fiel in den USA auf ebenso fruchtbaren Bo­den wie das Konzept einer Musik, die zwar Organismus bleibt, deren Glieder sich aber in verschiedenen Tempi in unterschiedliche Richtung bewegen.
Auch im Cellokonzert verhalten sich Orchestermusiker und Solist protagonistisch. Letzterer beginnt mit einer Solokadenz. Sie lässt das Material schon anklingen, das den durchkomponierten Konzertsatz prägt. Ungeachtet des kontinuierlichen Spielflusses lassen sich sieben Szenen je eigener Art erkennen, verbunden durch episodische Vorgriffe auf das finale «Allegro fantastico». Die Charakter-Bezeichnung des Kopfteils, «Drammatico», erfüllen die Sinfoniker des Bayerischen Rundfunks unter der anfeuernden Leitung des jungen Kristjan Järvi kontrastscharf. Mit peitschenden Fortissimo-Schlägen fallen sie in den Monolog des Solocellos ein. Der nachfolgende «Allegro appassionato»-Teil sieht von derlei Tutti-Gewalten ab. Herzstück des Konzerts ist ein deli­kates Duett zwischen dem Solocello
– dem Jan Vogler (im Sinne Goethes) eine schöne Seele einhaucht – und dem Schlagzeug. Hier wie im nachfolgenden «Lento» zeigt sich Carter als Meister orchestraler Farben und Düfte. Der «Maestoso»-Teil verwickelt den Solisten in einen Dialog, auf den sich die Blechbläser des Orchesters mit Wonne einlassen, bevor das Cello abermals sein betörendes Melos verströmt. Einsam, wie es begann, klingt das konzertante Drama aus.
Udo Zimmermann schrieb 2009 ein undramatisches, verschwiegenes, ganz nach innen gekehrtes Konzert für Violoncello und Orchester. Sein von Ingeborg Bachmann entlehnter Titel deutet die poetische Idee an: Lieder von einer Insel. «Ich hab’ im Traum geweinet», singt das Solocello anfangs verstört, «mir träumte, du lägest im Grab.» Verloren das lyrische Ich, fast sprachlos vor Verlustschmerz. Heines Melancholie, von Schumann ins Lied gehoben, pausenzerklüftet.
«Anfangs kann man mitsingen, später lockert sich die Ton-Wort-Beziehung und fordert auf, nach anderen Assoziationspunkten, Einstiegen zu suchen», kommentierte Peter Gülke im Münchner Programmheft triftig. In seine Partitur trug der Komponist fünf Texte ein, die als poetischer Unterstrom in seine Musik einflossen (aus: Lieder von einer Insel von Ingeborg Bachmann, Lyrisches Intermezzo von Heinrich Heine; Else Lasker-Schüler: Versöhnung; Franz von Assisi: Indulceam ubi est culpa; Friedrich Hölderlin: Hyperions Schicksalslied). Die Anfangszeilen des Gedichts von Lasker-Schüler stehen dem kanonisch gefügten Mittelteil voran (nach der ersten Solo-Kadenz). Die Worte Bach­manns und des heiligen Franziskus schweben als eher ortlose Stimmen über dem gut viertelstündigen Stück. Vogler, Järvi und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks versenken sich feinnervig in die immanente Gesanglichkeit des in sich kreisenden Werks.
Lutz Lesle