Schmitt Scheubel, Robert (Hg.)

Chronique scandaleuse

… Schönberg, dieser Einstein der Musik … Kritiken zu Arnold Schönbergs Werken

Verlag/Label: consassis.de, Berlin 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 94

So skandalös will mir die Chronik der Kritiken zu Schönbergs Schaffen, die Robert Schmitt Scheubel dem Nachlass im Wiener Schönberg-Center und gedruckten Sammlungen entnahm und mit einem erhellenden Nachwort versah, gar nicht erscheinen. Was mich jedenfalls beeindruckt, ist die musika­lische Sachkenntnis, kulturgeschichtliche Bildung, das argumentative Niveau und die stilistische Gewandtheit der meisten Autoren. Und der Platz, den Zeitungen und Zeitschriften ihren Mitarbeitern zwischen 1907 und 1933 zur Erörterung unliebsamer Töne einräumten.
Unter den Strich, der das seriöse Feuilleton von der politischen Kampfpresse scheidet, fallen nur die Schmäh­artikel der Deutschen Zeitung und im Völkischen Beobachter mit ihren ruf­mörderischen Gemeinplätzen wie «Ver­neinung aller deutschen Musikkultur», «erfinderische Impotenz», «typisch jüdische Dialektik», «zersetzender Einfluss», «Schönberg-Klemperer-Clique», ihrem Banausentum im Na­men des «gesunden Volksempfindens».
Dem steht die Phalanx der Vorkämpfer, Schüler und Jünger Schönbergs gegenüber, die sich entschieden auf die Seite der Neuen Musik schlagen. Sie bieten den Störenfrieden der Konzerte Schönbergs Paroli, ohne das Ausmaß der Wahrnehmungsprobleme zu leugnen, die dessen Zwölftonmusik den Ohren des uneingeweihten Publikums bereitet. Musterbeispiele: die Berichte über zehn öffentliche Proben Schönbergs zu seiner (wiederholt als unaufführbar abgesetzten) ersten Kammersymphonie 1918 im Wiener Musikvereinssaal aus der Fe­der von Heinrich von Kralik und Elsa Bienenfeld.
Eine Sonderstellung unter den Apologeten Schönbergs nimmt Theodor W. Adorno ein, der diesen schon 1930 anlässlich der Frankfurter Urauf­führung des Einakters Von heute auf morgen «im Zwange des Materials» ortete, den er vollstrecke (im Sog der Geschichte, mithin gesellschaftlicher Notwendigkeit). Demselben Stück bescheinigte Alfred Einstein «einen erschütternden Mangel an Humor». Alles sei «eigenwillig, monozentrisch, asozial; in der Wirkung sich selber aufhebend. Für wen hat Schönberg dies Werk geschrieben?» Wie man sieht, bildeten die Fürsprecher Schönbergs keine Einheitsfront.
Was mich am Nachwort stört: der Versuch, das aufklärende, uneitle, beredte Eintreten des Musikschriftstellers Hans Heinz Stuckenschmidt für Schönberg mit Blicken durchs Schlüsselloch der Kommission, die ihn 1949 zum Ordinarius der Berliner TU kürte, zu diskreditieren.

Lutz Lesle