Burkhard Friedrich

Città Utopica. Eine Konzert-Installation

Verlag/Label: Ahornfelder AH22
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 3
Booklet: 1
Gesamtwertung: 3

Der künstlerische Rekurs auf die Ästhetik monumentaler Produktionsanlagen – letztlich vorgeprägt in der Fetischisierung der Maschine durch den italienischen Futurismus – ist vor allem in den 1990er Jahren, die postindustrielle Räume im großen Stil als Kunststätten entdeckten, zur Genüge betrieben worden. Wer im Ruhrgebiet lebt, weiß ein Lied davon zu singen. Burkhard Friedrich, Komponist und Klangkünstler aus Berlin mit engem Draht zur Elektronik-Szene, hat sich zusammen mit dem Fotografen und Videokünstler Kurt Hörbst eine besonders pittoreske Kulisse ausgesucht: die riesige ÖMV-Raffinerie in Wien-Schwechat, ein illuminiertes Labyrinth aus Gängen, Treppen, Rohren und Türmen, das daherkommt wie ein in die Jahre gekommener Science-Fiction.
Diese merkwürdige Hybris rostiger Endzeitstimmung und kühler Industrietechnik verleiht Friedrichs Città Utopica (2009/10) ihren besonderen Reiz, die als elektroakustische «Sound­scape» im Rahmen von «Wien Modern» das Licht der Welt erblickte. Sie verunklart die Grenzen zwischen Realgeräusch und künstlerischer Transformation, Live-Spiel und Projektion, Wirklichkeit und Abbild in einer Raummusik, die trotz der Aura der konkreten Architektur letztlich einen utopischen Ort der Ortlosigkeit markiert.
Dieser Mitschnitt der Uraufführung im Schömer-Haus der Klosterneuburger Sammlung Essl vom November 2010 präsentiert sich als schmutzige Legierung aus Rauschen, Pfeifen, hochfrequenten Klangverdichtungen und perkussiven Loops, hellem Glockenklang und dumpfem Brodeln, in die undeutliche Spuren von E-Gitarre und E-Bass eingelagert sind. Eine surreale «Konzert-Installation» (so die Urheber) aus Licht, Klang und Architektur, irgendwo zwischen Ambient und Musique concrète angesiedelt, was hier ohne das Visuelle natürlich unvollständig bleiben muss (leider ein allgegenwärtiges Dilemma bei der Dokumentation von Klangkunst-Projekten auf Tonträgern). So darf sich eben jeder seinen eigenen Film machen eben­so wie ein Bild davon, was hier nun «utopisch» sein soll oder ob diese industrielle Nocturne nicht schon morbider Abgesang auf eine Industrie ist, die über ein Jahrhundert lang das Blut in die Adern moderner Zivilisation pumpte, deren Tage aber gezählt sind.

Dirk Wieschollek