Stockhausen, Karlheinz
Complete Early Percussion Works
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
Stockhausens frühe Schlagzeugmusik entfaltet ihren ganz besonderen Reiz aus der Begegnung von strenger Konstruktion und offenen Formexperimenten, wo der «gelenkte Zufall» ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Mit welcher schier unerschöpflichen Fantasie Stockhausen das kreative Spannungsverhältnis von Komponist und Interpret ausgelotet hat, offenbart diese großartige Einspielung der gesamten frühen Werke mit Schlagzeugbeteiligung unter Federführung des amerikanischen Perkussionisten Steven Schick.
In Refrain (1959) erarbeiten drei Spieler ein stilles, meditatives Klanggefüge aus Klavier, Vibraphon, Almglocken und Celesta von luzider Schönheit. Eher düstere Farben prägen das ganz frühe Schlagtrio von 1952 für Klavier und zwei Paukisten; 1974 noch einmal überarbeitet, verwandelt sich der serielle Punktualismus in einen mysteriösen Ritus mit unterschwellig pulsierenden Rhythmen, als wolle der Serialismus plötzlich anfangen zu tanzen. Schwerelose Leichtigkeit verkörpert auch Schicks Interpretation von Stockhausens Zyklus (1959) mittlerweile Pflichtstück für jeden ambitionierten Solisten.
Die Ambivalenz von Geräuschfarbe und Tonqualität ist Schlagzeugstücken grundsätzlich eingeschrieben; in Stockhausens elektronischen Experimenten bekommt diese Zwischenwelt zusätzliche Bedeutung. Die hybriden Klanglandschaften von Kontakte (195860) und Mikrophonie (1964) bilden in dieser Hinsicht den absoluten Höhepunkt dieser Anthologie. Steven Schick und James Avery machen aus den «Kontakten» einen elektrisierenden Dialog mit dem (digital neu aufbereiteten) vierkanaligen Originaltape, erzeugen Momente knisternder Spannung und verstecken das Lärmpotenzial der Tonbandschicht dabei keineswegs.
Hochsensible Interaktion findet sich auch in der atemberaubend guten Gestaltung von Mikrophonie durch das Ensemble «red fish blue fish». Sechs Akteure machen sich dort an einer einzigen Klangquelle zu schaffen: einem riesigen Gong, der damals extra für Stockhausen angefertigt wurde und entweder direkt bespielt/
bearbeitet wird oder als Resonanzkörper für andere Klangerzeuger fungiert. Es ist schier unglaublich, mit welcher Konzentration, Vielfarbigkeit und Präzision des Miteinanders hier auf denkbar engstem Raum agiert und welch ungeheuerliches Klangspektrum aus dem frei schwingenden Metall herausgekitzelt wird: taktile Millimeterarbeit. Was da per Richtmikrofon direkt ins live-elektronische Verarbeitungsgerät geht, klingt, als käme es aus einer ganzen Fabrik.
Parallel zu dieser CD-Veröffentlichung ist übrigens auch eine DVD erschienen, deren Vorzug nicht allein das Bonusmaterial mit mehreren Interviews darstellt, sondern die Tatsache, dass hier auch der körperliche Aspekt dieser ungeheuer frisch, lebendig und total konzentriert musizierten Stücke erfahrbar wird!
Dirk Wieschollek