Hába, Alois

Complete String Quartets

Verlag/Label: NEOS 11001-04
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 77

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

 
Bereits als Kind hört Alois Hába Töne, die außerhalb der zwölf gebräuchlichen Halbtöne stehen: Denn die mährische Volksmusik ist eine mikrotonale Musik, die von den Konventionen der wohltemperierten Stimmung Abstand nimmt und die Zwischenräume der Töne erkundet. In den 1920er Jahren beginnt der Komponist Hába dann Streichquartette im Viertel-, Fünftel- und Sechstel-Tonsystem zu schreiben. Diese sind vollständig auf der vorliegenden CD dokumentiert; außerdem enthält die Kompilation auch Hábas andere, in konventioneller Stimmung notierte Streichexperimente.
Wie klingt diese Musik? In ihrer Expressivität, Dynamik und rhythmischen Ausarbeitung erinnert sie an die Musik seiner Zeit. Dennoch hört sie sich vollkommen anders an. Ein wenig schräg und fremd. Franz Schreker, Hábas Kompositionslehrer, bezeichnete Hábas erstes im Vierteltonsystem notiertes Streichquartett als «originelle Sache»; Komponistenkollegen Hábas sprachen bei der Uraufführung des Stücks angeblich von der Wahrhaftigkeit des Vierteltons. 
Warum komponiert man so eine Musik?, fragt man sich beim Hören dieser skurrilen Klangstudien. Könnte die wohltemperierte Stimmung den Komponisten etwa gelangweilt ha­ben? Vielleicht ist dem Experimentieren mit der Mikrotonalität auch der unbewusste Wunsch eingeschrieben, zu der Musik seiner Kindheit zurückzukehren, eine nostalgische Rückbesinnung in der Erforschung des Neuen. Hába hat sich zu dieser Fragestellung selbst geäußert: Die mikrotonale Musik böte ihm die Möglichkeit, das alte Tonsystem zu erweitern und es mit neuen Tönen zu bereichern. 
Bereichert hat der Komponist nicht nur die Musik, sondern auch den Instrumentenbau. Er ließ spezielle Instrumente anfertigen, unter anderem das Vierteltonklavier, um das Spielen seiner Zwischentöne zu erleichtern. 
Er entwickelte nicht nur einen eigenen Klang, sondern auch eine individuelle Herangehensweise an die formale Ausarbeitung seiner Mu­sik. Das dritte Streichquartett schrieb Hába im sogenannten «unthematischen» Musikstil. In der Komposition tauchen keine Motive oder Themen auf, die sich wiederholen, alles unterliegt einem konstanten Fluss, wird stetig vorangetrieben. Das hat zur Folge, dass man den Überblick verliert. Man verläuft sich in einem Labyrinth aus Tönen und kann sich so vollständig auf ihren Sound konzentrieren. 
Das ist nicht zuletzt auch wegen der fantastischen Einspielung durch das traditionsreiche Hába Quartett möglich, das 1946 in Prag gegründet wurde und sich nach seiner Auflösung 1984 in Frankfurt am Main wieder reformierte. Die vier Musiker interpretieren die anspruchsvollen Kompositionen mit Leichtigkeit und meistern selbst die kompliziertesten mikrotonalen Verschiebungen mit atemberaubender Präzision. So kann das beinahe in Vergessenheit geratene Werk von Alois Hába zu neuem Leben erwachen.
Raphael Smarzoch