Apostel, Hans Erich

Complete String Quartets / Aufnahmen mit der Originalstimme von Hans Erich Apostel

Verlag/Label: Cybele 3 SACD KiG 002
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Zu ihrer Idee, eine Edition «Künstler im Gespräch» ins Leben zu rufen, die Brücken zum «Menschen hinter dem Werk» bauen möchte, kann man der Schauspielerin, Hörbuch-Autorin und -produzentin Mirjam Wiesemann nur gratulierten. Gleich die Gründungsnummer der Reihe, Karl Amadeus Hartmann gewidmet, wurde für den Deutschen Hörbuchpreis 2010 nominiert. Tatsächlich ist die Verbindung meisterhafter künstlerischer Werkinterpretationen mit akustischen Selbstzeugnissen des Tonschöpfers (nebst Schülern und anderen Zeitzeugen) ein­zigartig, ihre Unmittelbarkeit weder durch bloße Tonträger-Wiedergabe noch durch das gedruckte Wort zu ersetzen. Eine Erkenntnis, die den meisten Rundfunksendern abhanden kam, die in Skandinavien und Osteuropa noch bis in die 1980er Jahre wagten, einen Komponisten einen Abend lang eigene Werke vorstellen zu lassen. Neben der reinen Sachinformation sind die Stimm- und Dialektfärbung eines Künstlers, seine Art, auf Fragen zu reagieren, die emotionalen Untertöne seines Sprechens als Momente der Selbstvermittlung kaum zu überschätzen.
Wem der Name des 1901 in Karlsruhe geborenen Hans Erich Apostel noch etwas sagt, der wähnt ihn zu Recht in Schönbergs Wiener Schülerkreis. Als dieser 1923 nach Berlin ging, nahm ihn Alban Berg in seine Obhut. Wiewohl Apostel nach dem «Anschluss» Österreichs als «entartet» galt, hielt er Wien die Treue, baute nach 1945 die österreichische Sektion der IGNM auf und war bis zu seinem Tod 1972 Lektor der Universal Edition. Doch wurde sein Schaffen auch nach dem Krieg zu wenig wahrgenommen.
In Co-Produktion mit dem Deutschlandfunk entstand kürzlich die textlich (65 Seiten, inklusive Werk­erläuterungen von Stefan Drees) wie tondokumentarisch (3 CDs) äußerst materialreiche, zugleich handliche Nummer 2 der Reihe «Künstler im Gespräch»: Hans Erich Apostel und das Streichquartett. Musik zwischen Lyrik und Architektur nannte Harald Kaufmann seine Apostel-Monografie (Lafite, Wien). Eine Charakteristik, die dem Hörer seiner drei Streichquartette (1926, 1935, 1956) wie der 18 Variationen über ein eigenes Thema (1925) und der Sechs Epigramme (1962) umso mehr einleuchtet, als sich das Rotterdamer Doelen Kwartet so wesensnah in die feine, formstrenge, gefühlsscheue Tonsprache des Wahl-Wieners hineingelebt hat, dass man dem Komponisten wünschte, er könne «von oben» zuhören. Das LaSalle Quartett bannte das Streichquartett op. 7 1982 auf Schallplatte, alle anderen sind hier erstmals eingespielt.

Lutz Lesle