Maderna, Bruno
Complete Works for Orchestra, Vol. 3
Ausstrahlung / Biogramma / Grande Aulodia
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5
Ein raffiniertes Spiel mit Nähe und Ferne treibt Bruno Maderna in seiner 1971 entstandenen Ausstrahlung für Frauenstimme, Flöte, Oboe, Orchester und Tonband. Klang- und Wortschichten unterschiedlichen Präsenzgrades fügen sich zu einem Ton-Mobile, bei dem anfangs die vom Komponisten auch sonst so bevorzugten Holzblasinstrumente im Vordergrund stehen, während Streicher für Klanggrundierung sorgen. Jene gesungenen oder gesprochenen Texte, die den Hörer der Werkidee nach auf eine geistig-literarische Reise durch den vorderen Orient führen sollen, werden wiederum in abgestufter Deutlichkeit (bis hin zum Verschwimmen im Hintergrund) in den aufgespannten Tonraum integriert. Sie entstammen indischen Quellen wie z. B. der Bhagavad-gita, dem Rig-veda oder persischen Dichtungen von Omar Khayyam, Abdallah Saadi sowie Nizami Aruzi und werden teils in Originalsprache, teils in französischen, englischen und deutschen Übersetzungen wiedergegeben. Von einem sanften Beginn bis zu einem wiederum ruhigen Schluss spannt sich der Bogen in der vorliegenden, 2007 entstandenen Aufnahme mit dem hr-Sinfonieorchester unter Leitung von Arturo Tamayo. Keine nur nachvollziehende, sondern eine aktiv gestaltende Interpretation erlebt der Hörer: wird doch die Gesamtform durch Wahl der Reihenfolge bei den sieben einzelnen «Ausstrahlungen» erst vom Dirigenten bestimmt, wobei zudem Teile der Partitur den Spielern Freiheiten bei der Ausführung gewähren.
Ähnliches gilt für das Orchesterstück Biogramma, in dessen drei Teilen sich äußerste Freiheit der Ausführung und strenge Determination der Musik abwechseln. Ausdrückliche Solopartien von einigen Monologen des Englischhorns abgesehen gibt es in Biogramma zwar nicht, doch darf das gesamte Orchester so hochdifferenziert in einzelnen Klanggruppen agieren, dass virtuell jede Stimme zur Solostimme wird. Unruhig schillernd und flackernd wirken viele Passagen der Partitur, doch unterbricht Maderna die einzelnen Erregungszustände immer wieder mit Pausen und fügt kontemplative Abschnitte ein.
Die letzte der hier, in der dritten Lieferung von Madernas Complete Works for Orchestra eingespielten Kompositionen ist seine Grande Aulodia, 1970 komponiert und damit ebenfalls Madernas «Spätwerk» zurechnend wenn man denn diesen metaphysisch beladenen Begriff für die Schöpfungen des damals knapp über Fünfzigjährigen verwenden will. Thaddeus Watson (Flöte) und Michael Sieg (Oboe) sind die beiden Solisten in dieser konzertanten Komposition, die einst im Blick auf die Künste von Severino Gazzeloni und Lothar Faber geschrieben wurde. In zahlreichen
lyrischen, entrückten Episoden lässt Maderna hier seine vom antiken Doppel-Aulos inspirierte Vision eines universellen, überdimensionalen Blasinstruments entstehen, in dessen Ausdrucksmöglichkeiten und Timbre Flöten verschiedener Registerlage mit Oboe und Englischhorn verschmelzen.
Gerhard Dietel