Hartmann, Karl Amadeus
Concerto Funebre
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5
Dass Karl Amadeus Hartmann einer der bedeutendsten Sinfoniker des 20. Jahrhunderts war, ist bekannt, auch wenn sein sinfonisches uvre in der heutigen Konzertpraxis sträflich vernachlässigt wird. Nicht sehr viel besser steht es um die zweitwichtigste Gattung in Hartmanns Schaffen: die der konzertanten Musik, welche aber immerhin einigermaßen diskografisch zugänglich ist. Dazu trägt auch die vorliegende Neuveröffentlichung mit Aufnahmen aus den Jahren 2004 und 2007 bei, die zugleich einen chronologischen Längsschnitt durch Hartmanns uvre legt.
Concerto funebre ist sie betitelt und setzt damit etwas einseitig den Akzent auf jenes Werk, mit dem Hartmann im Jahre 1939 ein tönendes Bekenntnis gegen die nationalsozialistische Diktatur ablegte. Das während der inneren Emigration des Komponisten entstandene Werk steckt vom Zitat des alten Hussitenchorals bis zu dem des russischen Arbeiterlieds Unsterbliche Opfer voller Anspielungen auf das Zeitgeschehen. Ganz angemessen ist es, wenn Benjamin Schmid als Solist seinen Part mit großer pathetischer Geste und romantisch-emotionsgeladenem Ton formuliert: die schwerblütig elegische Trauermusik des Beginns und den Choralgestus des Finales, zwischen denen ein aggressives «Allegro di molto» Protest gegen die menschenverachtende und kriegstreiberische Politik der Nazis erhebt.
Die nationalsozialistische Machtergreifung muss Hartmann tief erschüttert haben, wie sein Freund Max See berichtete: «Als ich 1935 nach München zurückkehrte, fand ich Hartmann völlig gewandelt. Aus dem einstigen musikalischen Enfant terrible, das sich in Burlesken und Persiflagen austobte, war ein Pathetiker geworden.»
Den früheren, jugendlich-ungestümen Hartmann erlebt man auf der vorliegenden CD in der Burlesken Musik von 1931, einer streng im Rhythmus vorwärts marschierenden Spielmusik, die in der Interpretation durch das SWR-Rundfunkorchester pfiffig und frech herauskommt. Mit diesem Werk erweist sich der Hartmann der 1920er Jahre als Zeit- und Geistesgenosse von Strawinsky und Hindemith und zeigt sich zugleich von neobarocken Tendenzen inspiriert, indem er auf das alte Modell des Gruppenkonzerts zurückgreift.
Die beiden Doppel-Konzerte aus den 1950er Jahren knüpfen im Geist hier wieder an und lassen neuerlich musikantische Züge im Vordergrund stehen, obwohl in den langsamen Mittelsätzen auch der «Adagio»-Komponist vernehmbar wird. Bemerkenswert ist es, wie Hartmann zwar auf Distanz zu Zwölftönigkeit und aktuellem Serialismus der Avantgarde bleibt, doch stattdessen auf ein anderes Verfahren mathematischer Materialorganisation zurückgreift: der von Boris Blacher entliehenen Technik der «variablen Metren», die einigen der Konzertsätze ihr rhythmisches Profil gibt.
Gerhard Dietel