Eötvös, Péter

Concertos

Seven | Levitation | CAP-KO

Verlag/Label: BMC CD 190
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 72

Musikalische Wertung: 4

Technische Wertung: 5

Booklet: 3

Das musikalische Schaffen und Denken von Péter Eötvös war von Beginn an stark von theatralen Überlegungen und dem Bezugspunkt zur Bühne als Ort des dramatischen Erzählens geprägt. Umso erstaunlicher scheint es, dass er sich erst 1997 nach der Fertigstellung seiner ersten großen Oper, der Tschechow-Adaption Drei Schwestern, der dramatischsten aller instrumentalen Formen zuwandte: dem Solokonzert. Seither hat sich diese Form einen prominenten Platz in seinem Werkkatalog bewahrt und gehört neben dem Musiktheater wahrscheinlich zu der mit dem Komponisten Péter Eötvös assoziierten Gattung. 
Die drei auf der vorliegenden CD versammelten Konzerte sind alle im Zeitraum 2005 bis 2007 entstanden und haben alle einen quasi-program­matischen Ansatz. In Seven, geschrieben 2007, ist dies der Absturz der Raumfähre Columbia, bei dem 2003 alle sieben Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Die Bilder des Unfalls hatten auf Eötvös eine starke Wirkung – besonders vor dem Hintergrund, dass die sieben Astronauten ausgewählt worden waren, um die Diversität der Erdbevölkerung zu reflektieren. Ihr tragisches Ende kam für Eötvös dem symbolischen Untergang eines Ideals gleich, dem er durch die musikalischen Porträts der Astronauten im ersten Satz des Konzerts ein Denkmal gesetzt hat. Jede der vier Kadenzen vom Beginn des Stücks ist mindestens einem Astronauten gewidmet und spielt musikalisch mit imaginierten Eigenschaften der Raumfahrer. Vorstellungen von der Klanglichkeit des Weltraums spielen eine große Rolle, wenn etwa die Streicher durch flirrende Tremoli endlose Horizonte evozieren, der Einsatz metallischen Schlagwerks an die Akustik in Raumschiffen gemahnt oder mit gewaltigen Orchestertutti Raketenstarts und -landungen beschworen werden. Die Zahl 7 ist dem Werk darüber hinaus grundlegend eingeschrieben: Das Orchester fasst 49 Musiker, die in sieben Gruppen unterteilt sind; in der Partitur werden häufig Sinnabschnitte à sieben Takte durch Doppelstriche zusammengefasst und die Melodielinie der Solovioline weist auffallend häufig schnelle Septolenläufe auf. 
Ebenfalls mit Schwerelosigkeit im weitesten Sinne befasst sich das Konzert für zwei Klarinetten, Streichorchester und Akkordeon Levitation. Ungefähr zeitgleich komponiert wie Seven, lassen sich auch hier Anklänge an interstellare Töne hören – der Hauptbezugspunkt ist aber die letzte Szene von Strawinskys Petrushka, in der der Geist der Puppe schwebend über den Dächern der Stadt erscheint. Die beiden Soloklarinetten mit ihrem luftigen, durch Schwebungen zwischen den Multiphonics von A- und B-Klarinette zusätzlich ätherischen Ton bilden hier den Gegenpart zum blockweise homophon geführten Streicherapparat, der das «Entschwinden» erfolglos zu verhindern sucht. 
Eine kompositorische Verneigung vor Béla Bartók schließt die CD ab, die einen vielschichtigen Überblick über die jüngeren Konzerte von Péter Eötvös bietet. 
 
Patrick Klingenschmitt