Pärt, Arvo

Creator spiritus

Verlag/Label: Harmonia Mundi HMU 807553
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/04 , Seite 83

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

In einer Welt, die nach immer neuen medialen Sensationen giert, ist es auch für Künstler naheliegend, das Bedürfnis nach Neuem zu befriedigen und – wenn schon nicht aus innerem Antrieb, so doch aus äußerem Zwang – den aktuellen Moden Tribut zu zollen. Einer, der sich solchem Denken konsequent verweigert, ist der estnische Komponist Arvo Pärt. Nach Jahren des Experimentierens mit avantgardistischen Mitteln fand er in den 1970er Jahren zu seiner ganz persönlichen Ausdrucksweise, der er seither treu blieb: «Tintinnabuli» nennt er in Anlehnung an das Zusammenklingen von Glocken jenen damals entwickelten Stil, der auf schlichten Dreiklängen, Reduktion des Klangmaterials, ruhiger Bewegung und sparsamer Linienführung beruht. Es ist die Haltung eines Bettelmönchs, aus der heraus Pärt seither vorwiegend geist­liche Werke komponiert: eine «Arte povera», die in ihren besten Momenten dennoch hohe Eindrücklichkeit erreicht.
Als Querschnitt durch Pärts instrumentale und vokale Kammermusik seit den 1960er Jahren bis zur schwerpunktmäßig vertretenen jüngeren Vergangenheit präsentiert sich die vorliegende CD-Neuproduktion mit dem estländischen Nyyd Quartet und den von Paul Hillier geleiteten Vokalensembles Ars Nova Copenhagen und Theatre of Voices.
Im Zentrum steht als zeitlich ausgedehnteste Komposition das 1985 entstandene Stabat mater für drei Sänger und Streichtrio, ein weniger bekanntes, aber auf gleichem Niveau wie Pärts Johannes-Passion stehendes Werk. Ganz selbstverständlich sind die Klangfolgen des Vokalparts hier ganz aus den Hebungen und Senkungen des Textmetrums heraus entwickelt, wobei der Streicherklang direkt mit dem vokalen verschmilzt. Doch bleibt den Instrumenten zusätzlich die Aufgabe, die einzelnen Strophenblöcke der Sänger mit bewegteren Zwischenspielen zu gliedern.
Vorwiegend kürzere Arbeiten Pärts begegnen dem Hörer im Weiteren: eine sehr sanfte, zurückgenommene Anrufung Veni creator, ein litaneiartiges The Deer’s Cry und eine Most Holy Mother of God, wo die rituell wiederholte Textzeile teils in solistischer Präsenz, teils in wie aus der Ferne tönendem Murmeln einer Gemeinde erklingt. Gleichermaßen andächtige Gebetshaltung herrscht in dem rein instrumentalen, sparsam zweistimmig gesetzten oder von Bordunquinten gestützten Psalom von 1985/97.
Stücke individuelleren Gepräges ragen aus dem allgemeinen Rahmen heraus: Mit Peace upon you nähert der Komponist sich der herkömmlichen, abschnittsweisen Motetten-Vertonung, und ein 1964 ursprünglich für Chor geschriebenes, später für Streichquartett arrangiertes Solfeggio erlaubt den Blick auf Pärts Musik vor dem «Tintinnabuli»-Stil, steht diesem jedoch mit seiner Konzentration auf die Töne der diatonischen Leiter bereits nahe. Überraschend ist es weiter, wenn Pärt mit My Heart’s in the Highlands einen profanen Text des schottischen Dichters Robert Burns vertont: freilich ebenfalls im kargestmöglichen «Tinntinabuli», wo der Sopran, von der Orgel gestützt, nur auf wechselnden Tonhöhen eines Moll-Dreiklangs rezitiert.

Gerhard Dietel