Tenney, James

Critical Band (1988) / Harmonium #2 (1976)?/?Koan: Having Never Written A Note For Percussion (1971)

Verlag/Label: zeitkratzer records zkr 0010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 85

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4


Augenzwinkernd «Old School» nennt das 1997 gegründete Berliner Ensemble «zeitkratzer» eine Serie, die anerkannten Komponisten der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gewidmet ist. John Cage (s. Rezension links) gehört zweifellos zu den Anerkannten, James Tenney hingegen ist nicht in dem Maße ein Begriff, zumindest Eingeweihten aber bekannt als Pionier der elektronischen Musik und als Komponist, der sich intensiv mit mikrotonalen Phänomenen beschäftigte.
Zeitkratzers eigens produzierte CD dokumentiert Tenneys mikrotonale Ästhetik sehr deutlich. Vom Kam­merton A ausgehend entfernt sich das Geschehen im 1988 entstandenen und 17 Minuten dauernden Critical Band vorerst kaum über wenige Cents hinaus. Die konzeptuelle Frage lautet: Wann ist der Punkt gekommen, ab dem das Ohr quasi in den nächsten Halbton einhakt? Angesichts der sehr langsamen Entwicklungen ist das ein fürs Hören periphärer Aspekt. Diastematische Orientierung gerät schnell zur Nebensache, Gewicht bekommen hingegen Klangfarben und vor allem irisierende Schwebungen, die mal schneller, mal langsamer pulsieren.
Ist der Ansatz in Harmonium #2 (1976) mit dem von Critical Band vergleichbar, so beschreitet der 1934 geborene und 2006 gestorbene Tenney in Koan: Havin Never Written A Note For Percussion (1971) einen anderen Weg. Das – im Titel wohl selbst­ironisch angesprochene – Problem, dass Komponisten oft Schwierigkeiten im Umgang mit dem so ausufernden Perkussion-Arsenal haben, beantwortet Tenney auf ebenso einfache wie ingeniöse Art: «Spiele vom vierfachen Pianissimo hin zu einem vierfachen Fortissimo und wieder zurück», heißt es in der Partitur. Auf der CD klingt es wie eine elektronische Komposition. Maurice de Martin entlockt seinem tiefen Tam-Tam vielschichtige Klangwelten, in denen sich «runde», glockenähnliche Resonanzen mit dem typisch blechernen Geräusch eigentümlich und sehr dicht vermischen.
Sicher kommt der Klangfetischist beim Hören der technisch liebevoll produzierten CD auf seine Kosten. Manch anderem indes könnte dieses introspektive Klangwühlen etwas zu viel werden. Konzeptbedingt schließt das stellenweise zu konsequente Geschehen Überraschungen aus und krankt letztlich an einer Sterilität, die von Tenneys naturwissenschaftlichem Interesse herrühren mag. Trotz mancher Vorbehalte: Auf die folgenden Produktionen der «Old School»-Serie darf man gespannt sein. Zeitkratzer plant weitere CDs mit Werken von Alvin Lucier, Morton Feldman und Karlheinz Stockhausen.

Torsten Möller