Julia Wolfe
Cruel Sister / Fuel
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 2
Gesamtwertung: 4
Irgendjemand hat irgendwann Julia Wolfe als Vertreterin des Postminimalismus deklariert, die sich aus dem Pool der Downtown Music bedient. Das ist so richtig, wie es auch falsch ist. Beide Etiketten, das des Postminimalismus und das der Downtown Music, sind zu knallig, überdecken generalisierend die Spezifika von Wolfes Arbeiten, ja sie bringen diese geradezu in die Gefahr, dass man sie in die Schublade «Musikdesign» steckte. Sicher, die 1958 geborene amerikanische Komponistin benutzt minimalistische Materialien und Methoden. Ihre Musik jedoch reißt trotz aller strukturalistischen Orientierung an den Ikonen des Minimalismus Abgründe auf, an denen die Minimalisten der ersten Stunde so elegant wie virtuos vorbeitänzelten und von denen die Postminimalisten reinsten Wassers in ihrem klinisch
reinen Klangkosmos nur träumen können.
Wolfe komponiert eine Musik, die sich einerseits psychologisch subtil und andererseits kunstvoll brachial ins Gehör und irgendwann auch ins Gemüt hineinfräst. Denn die Komponistin hat keine Angst vor dynamischen Extremen. Im Gegenteil. Lustvoll lässt sie in kreischenden Fortissimi gegenläufige Rhythmen aufeinanderknallen. Sie greift dabei nicht einmal zu elektronischen Hilfsmitteln sie mutet ihre bruitistisch aufgewühlten Klangeruptionen dem herkömmlichen Streicherinstrumentarium zu. Musiker, die sich den Musiken Wolfes aussetzen, brauchen daher fest zupackende Hände, starke Nerven und eine gewisse Coolness, denn ohne ironische Distanz verlöre das kunstvoll Rohe in diesen Musiken viel von seiner bohrenden Eindringlichkeit.
Das Hamburger Ensemble Resonanz prä nun auf der vorliegenden CD zwei der markantesten Kompositionen aus der Feder von Julia Wolfe. Cruel Sister (2004) ist eine Theatermusik ohne Libretto. Literarische Basis ist die altenglische gleichnamige Ballade über zwei Schwestern, die denselben Mann lieben, was eine der beiden mit dem Leben bezahlt. In vier Sätzen wenn man so will in einem klassischen sinfonischen Format baut Wolfe dieses Drama ohne Worte auf, in grau-düstere Klangfarben verpackt. Die Musiker des Ensemble Resonanz spielen mit diesen Grautönen virtuos, zeigen, dass Powerplay nicht gleich Powerplay ist.
Fasziniert von der Klangwelt der Komponistin hat das Ensemble bei Wolfe vor wenigen Jahren das Stück Fuel (2007) in Auftrag gegeben. Wie auch bei Cruel Sister ist hier der Impuls zur Komposition im außermusikalischen Bereich angesiedelt. In Bewegung gesetzt wurde das akustische Kopfkino von Wolfe hierfür von den gigantischen Kräften, die den globalisierten Welthandel antreiben. Das Bild, das sie dabei vor Augen hatte und das für sie im Verlauf der Komposition zur Metapher wurde, sind die riesigen Container-Umschlagplätze in den Häfen von Hamburg und New Jersey. Mit ungeheurer Gewalt, berserkerhaft zu spielen, lässt Wolfe hier eine Phalanx minimalistisch geprägter, aber dynamisch extrem aufgerauter monochromer Klangquader aufeinanderprallen. Das Ensemble Resonanz setzt das bemerkenswert kompromisslos in Szene. Bisweilen scheint es, als habe Artauds «Theater der Grausamkeit» für diese Musik Pate gestanden. Man versteht: diese Musik taugt nicht zur stylish schillernden Dekoration.
Annette Eckerle