Papachristopoulos, Ioannis
Das kompositorische Schaffen von Dimitri Terzakis
Stilkritische Untersuchungen und Werkcharakteristik (= Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Band 17)
Wie Analyse zur Auslegungskunst wird, die über das bloße Bescheidwissen, wie etwas gemacht sei, hinaus gelangt, indem sie das Weltverständnis des Komponisten und seine kulturellen Bindungen mit in Betracht zieht das zeigt beispielhaft die Studie des griechischen Musikwissenschaftlers Ioannis Papachristopoulos, die unter der Obhut des Kölner Ordinarius Christoph von Blumröder entstand. Um der Musik des Griechen Dimitri Terzakis gerecht zu werden, muss man vielleicht der byzantinischen Kultursphäre entsprossen sein.
Der Schriftstellersohn kam 1965 nach Deutschland, um sein in Athen begonnenes Kompositionsstudium bei Bernd Alois Zimmermann in Köln fortzusetzen. 1968 bis 1994 war er Dozent für Musiktheorie an der Pädagogischen Hochschule Köln, parallel lehrte er an der Musikhochschule Rheinland. 1989 wurde Terzakis Kompositionsprofessor an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf, 1994 bis 2003 wirkte er in gleicher Funktion an der Mendelssohn-Hochschule in Leipzig. In all den Jahren blieb Terzakis der Musikkultur und dem Musikleben seines Heimatlandes verbunden, förderte den musikalischen Nord-Süd-Dialog und gründete sogar ein Institut zur Erforschung der Beziehungen zwischen westlicher und südosteuropäischer Musik.
Während der Schönberg-Schüler Nikos Skalkottas (1904-49) die neugriechische Musik in die Bahnen der neuen Musik Westeuropas lenkte, vollzog Terzakis eine Generation später eine Gegenbewegung ad fontes. Auf der Suche nach einem eigenen Tonfall besann er sich Ende der 1960er Jahre der überlieferten Musikkulturen seiner Heimat. «Auf eine radikale und zugleich originelle Weise» fand er Haftanker in den uralten Traditionen des östlichen Mittelmeerraums: der byzantinischen Kirchenmusik und (in geringerem Maße) der griechischen Volksmusik. Zu Beginn der Untersuchungen werden die «Voraussetzungen» seiner wesenhaft einstimmigen (monophonen oder heterophonen) Tonwelt geklärt. Dabei kommen auch seine Aufenthalte in der Mönchsrepublik auf dem Berg Athos zur Sprache, dem geistigen Zentrum der griechischen Orthodoxie. Die Mönche, deren Hymnengesang Terzakis aus unmittelbarer Nähe erlebte, zählt er ausdrücklich zu seinen Musiklehrern.
Danach geht es um die «Anfangsprinzipien» seines Schaffens, die Papachristopoulos nach materialtechnischen bzw. kompositionsästhetischen Kriterien zu systematisieren versucht (horizontale Dimension, vertikale Ebene, rhythmische Komponente, Interpretations- und Gestaltungsfreiheit, Klangfarbe). Mikrotonale Fortschreitungen, so ist zu erfahren, seien gleichsam der kompositorische Urstoff von Terzakis Musik.
Den Hauptteil des Buches bilden sodann detaillierte, mit Notenbeispielen veranschaulichte Untersuchungen von vier vokalen bzw. vokal-instrumentalen Schlüsselwerken, die Weg und Wendepunkte von Terzakis Schaffen bis ca. 1990 markieren: Ikos (1968, Arbeit mit dem Mikromelos), Ethos B (1972, Tetrachord-gebundenes Komponieren), Liturgia profana (1976/77, polychordische Bildungen) und Die Tore der Nacht und des Tages (1987, melodische Achse und Phase). Die Schlussbetrachtung gilt «charakteristischen Tendenzen» seines uvres seit 1990. Ein ausführliches Register erschließt den ertragreichen Band nach Personen, Musikwerken, Begriffen und Sachen.
Lutz Lesle