Dedalus | Antoine Beuger | Jürg Frey
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 2
Booklet: 1
Die Neuerscheinung des Ensembles Dedalus beim französischen Label Potlatch bringt zusammen, was zusammengehört: Als unabhängiges Label hat sich Potlatch auf die Fahnen geschrieben, die unterrepräsentierte freie Improvisationsszene Frankreichs zu Gehör zu bringen. Das Repertoire des Spezialisten-Kollektivs Dedalus zeugt von einer Vorliebe für die konzeptionell geprägten Werke in der Tradition eines John Cage oder La Monte Young, deren teils ausufernde Stücke die Grenze zur freien Improvisation wenn nicht einreißen, so doch zumindest stark verwischen. Der Einfluss dieser beiden Vertreter des in stetem Spiritualitätsverdacht stehenden Flügels der Avantgarde ist in den vorliegenden Werken der beiden Dedalus-Komponisten Antoine Beuger und Jürg Frey deutlich spürbar: Hier wie dort ist das Eigentliche unhörbar und die Musik wird zum bloßen Vehikel zur Erreichung einer anderen geistigen Sphäre, wobei die Negation fokussierter Wahrnehmung eine entscheidende Rolle spielt. Die Musik bildet dorthin transitive Plätze, Lieux de Passage, wie es bei Beuger heißt.
Bei den drei Stücken realisiert sich folglich ein musikalisch radikaler Minimalismus, der nicht etwa mit einer Perpetuierung sich wiederholender Patterns arbeitet, sondern jeglicher Art musikalischer Parameter eine Absage erteilt: Harmonische Verläufe werden bis an die Grenze der Nachvollziehbarkeit verschleiert, es gibt keine erkennbare Form und auf Melodie wird überwiegend verzichtet. Stattdessen sind die Tonbewegungen in lang ausgehaltenen Tönen fast erstarrt und fügen sich nur lose, überaus fragil und zerbrechlich zu einem ätherischen Ganzen. Alles ist durch enorme Augmentierung aus dem Fokus gerückt, während die Musiker ihre Instrumente filigran bedienen. In die Blasinstrumente wird allenfalls gehaucht, die Posaune erzeugt selten mehr als ein unterschwelliges Brummen und die zaghaften Einzeltöne der Gitarre erscheinen al und verschwinden dal niente. Geräusche erhalten Ereignischarakter, wenn sich hier und da eines aus dem heimeligen Brummen, Knarzen und Fiepen herausschält, das nie das piano verlässt. In der Tat scheinen sie essenzieller Bestandteil der Werke zu sein.
Mit der Ancienne Brasserie Bouchoule wurde ein überwiegend für Ausstellungen verwendeter Ort für die Aufnahmen gewählt, der nicht über die Schallisolierung eines Konzertsaals oder Tonstudios verfügt. Mehrmals hört man draußen ein Auto hupen, das Publikum hustet genüsslich und Motorräder fahren vorbei. Die Atmosphäre der beiden Konzerte vom 27. und 28. April 2012 wird mittels Raummikrofonen ganz roh und unmittelbar konserviert; der Zuhörer kann daran teilhaben, als wäre er dabei gewesen.
Unter dem mikroskopischen Raster der Aufnahmetechnik entfaltet sich das Flüstern von Beugers Méditations poétiques sur quelque chose dautre wie Geheimwissen hinter vorgehaltener Hand, genauso wie der zart durch einzelne Gitarrentöne angedeutete Kanon in Freys Canones Incerti, der sich verlieren will in den liegenden Tönen der Bläser und der Viola. Form bleibt durchgehend eine blasse Erinnerung, die im Jetzt keine Bedeutung mehr hat. Und wer der Musik dieser Aufnahmen ins vermeintliche Nichts folgt, der kann tatsächlich Magisches finden.
Patrick Klingenschmitt