Dedications

Verlag/Label: Intuition INT 34342
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Michel Godard ist weitaus mehr als ein Tuba-Bediener, der nur durch Armbewegungen und Atemzüge klang­typische Töne aus dem Instrument herausholt. Patrick Bebelaar ist weitaus mehr als ein Tasten-Spieler, der nur durch harten oder weichen Anschlag weiße und schwarze elfenbeinbelegte Klötzchen bewegt. Im Zusammenspiel beider entwickelt sich aus dem «Weitaus mehr» eine zusätzliche Komponente auf der nach oben offenen Qualitätsskala. Über ihre technische Brillanz, das offenkundig blinde Verständ­nis und eine absolut unantastbare musikalische Vertrauens­basis hinaus verständigen sich Godard und Bebelaar über eine gemeinsame Musiksprache. Ihr Gemeinschaftswerk unter dem Titel Dedications gibt eine klare Richtung vor, reale Personen werden zu Empfängern der «Widmungssongs», auf der künstlerischen Ebene findet eine Kommunikation von außergewöhn­licher Harmonie und Disziplin statt. Bei Godard/Bebelaar verfestigt sich der Eindruck, dass sie keine vorher benutzten Töne, also keine Second-Hand-Ware, verarbeiten, sondern in klarer Konzeption, gegenseitig befruchtender Kompositionswei­se und offen erlaubten Improvisationszugeständnissen – außer einem kombinierten Titel von Thelonious Monk und Solomon Linda – vier Godard- bzw. fünf Bebelaar-Stücke in gegenseitiger Achtung einbrachten.
Patrick Bebelaar widmete vier seiner fünf Stücke seiner Ehefrau Natascha (Natuschkas Song), dem Schriftsteller Wolfgang Kiwus (Kiwus), dem Saxofonisten Frank Kroll (Keep At It) und dem Trompeter Herbert Joos (Philtre). Ähnlich wie bei Michel Godard, der eines seiner Stücke namentlich dem Meisterkoch Vincent Klink (One For Vince) – der auch die liner notes beisteuerte – widmete, arbeitete auch Patrick Bebelaar schon öfter mit den Protagonisten seiner Songs zusammen. 2008 veröffentlichte Godard das Album Archangelika (eine Pflanze aus der Gattung Engelwurz, die bei Verdauungsstörungen hilft), dessen Titelsong auch auf Dedications enthalten ist. Hier taucht an mehreren Stellen ein ähnliches Thema auf wie das aus dem Beatles-Song Happiness Is A Warm Gun (vom White Album). In zarten Tuba- und Klaviertönen nähern sich die Musiker über kleine Umwege diesem für eine damalige Popband äußerst schrägem Material und binden es in eigene Assoziationen ein.
Einziges Fremdmaterial ist eine Kombination aus Round Midnight von Thelonious Monk und The Lion Sleeps Tonight, das der südafrikanische Zulu-Musiker Solomon Linda unter dem Namen Mbube 1939 für eigene Vorstellungen in den Bars und Kneipen von Johannesburg komponiert hat. Dieses längste Stück der CD tastet sich in bedächtigen Piano-Sequenzen sehr vorsichtig an das Thema heran, das Michel Godard auf dem Serpent, das er für den Jazz entdeckt hat, und der Tuba teils fragil, teils kraftstrotzend improvisatorisch aufbricht, wieder verschließt und wieder aufbricht. Mit entfesselter Leidenschaft entwickelt sich der Song zu einer freien Improvisationsetüde, die immer wieder durch gebrochene, hier und da melodische Sequenzen aus den Originalen ein neues Original erschafft und in der der Löwe die Nacht zum Brüllen nutzt.

Klaus Hübner